Präzise Ernteprognose aus dem All
In Kürze
- Das ETH-Spin-off Terensis kombiniert Satellitenbilder mit Pflanzenmodellen, um einen digitalen Zwilling von Ackerpflanzen zu erstellen.
- Dieses virtuelle Abbild der Realität zeigt den Zustand von unterschiedlichen Feldfrüchten in Echtzeit an und kombiniert die Informationen mit lokalen Wetterdaten.
- Alle Beteiligten der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette erhalten so Zugang zu präzisen Informationen wie Ist-Zustand, Ertrag, Risiken oder Handlungsbedarf. Das spart Zeit und Geld und hilft bei der Planung.
«Keine Frage, die Bäuerinnen und Bauern kennen ihre Äcker viel besser als wir», sagt Gregor Perich. «Sie wissen, welche besser und welche schlechter sind und was sie wo womit erreichen können. Wir können ihnen aber dabei helfen, Unsicherheiten zu reduzieren, Zeit zu sparen und bei Risiken rechtzeitig einzugreifen.»
Der Agrarwissenschaftler der ETH Zürich zeigt auf seinem Laptop-Bildschirm eine Schweizerkarte: Zwischen Genfer- und Bodensee sind lauter kleine Flecken in Rot-, Grün- und Gelbtönen zu sehen. «Das sind die einzelnen bewirtschafteten Äcker, Obstplantagen und Rebberge der Schweiz. Für jeden von ihnen können wir bis zu zwei Monate vor der Ernte den Ertrag voraussagen. Je grüner die Farbe, desto höher ist der Ertrag.»
Perich zoomt in die interaktive Karte und somit in die einzelnen Parzellen hinein – jede besteht aus verschiedenen Farben. «Mit unserem Dashboard lässt sich der Ist-Zustand eines beliebigen Ackerabschnitts überprüfen. Der Bauer oder die Bäuerin sieht auf einen Blick, ob die Kulturen auf Kurs sind oder nicht – und erhält massgeschneiderte Handlungsempfehlungen.»
Satelliten sehen mehr
Die detaillierte ortsbezogene Datenbank, die Perich zeigt, ist ein «digitaler Zwilling», also ein virtuelles Abbild der Realität. Der digitale Zwilling kombiniert biophysikalische Modelle mit Echtzeit-Satellitendaten und simuliert so die Entwicklung von Nutzpflanzen von der Aussaat bis zur Ernte. Neben dem voraussichtlichen Ernteertrag macht er unter anderem Angaben zur aktuellen Biomasse – aus welcher sich der Ertrag rechnet –, zum voraussichtlichen Blütedatum und zum idealen Erntezeitpunkt.
Satellitendaten werden in der Schweizer Landwirtschaft noch zurückhaltend angewendet. Dabei wäre das Potenzial riesig. «Mit Satellitenbildern können wir Dinge beobachten, die wir mit menschlichen Auge nicht sehen», sagt Lukas Graf. Der Geoinformatiker hat wie Perich in der Gruppe Kulturpflanzenwissenschaften von ETH-Professor Achim Walter doktoriert.
«Satelliten messen unter anderem, wie viel Strahlung der Sonne, die auf einen Acker scheint, reflektiert wird. Je nach Zustand der Pflanzen geben sie mehr oder weniger von der Strahlung wieder zurück.» Haben die Blätter einer Pflanze zum Beispiel eine gewisse Grösse und stehen in einem gewissen Winkel ab, schicken sie eine bestimmte Menge an Strahlung zurück zum Satelliten. «Daraus lassen sich sehr genaue Rückschlüsse auf die Pflanzen ziehen», sagt Graf. «Die Satellitenbilder können uns zum Beispiel sagen, ob die Pflanze Trockenstress hat oder ob sie von Pilzbefall bedroht ist.»
Warnung vor Wetterrisiken
Diese Satelliteninformationen werden mit einer auf den Standort abgestimmten Wettervorhersage verknüpft. «In Kombination mit unserem agronomischem Wissen können wir eine gezielte Risikobewertung und Handlungsempfehlungen abgeben, zum Beispiel bei Frost, Dürre oder drohendem Pilzbefall mit Fusarium», ergänzt Perich.
Mit Hilfe des digitalen Zwillings sieht der Bauer, die Bäuerin nun auf den ersten Blick, ob ein Teil der Kulturen bedroht ist und kann zum Beispiel Fungizide gezielt dort einsetzen, wo sie gebraucht werden, die Hagelnetze rechtzeitig schliessen oder Frostkerzen anzünden. «Unser Modell wird zweimal pro Woche aktualisiert. Wir wissen also stets, in welchem Stadium sich die Feldfrüchte befinden», sagt Perich. Das Stadium ist entscheidend dafür, ob und wie gehandelt werden muss. Zum Beispiel bei Weinreben: Ist die Knospe noch nicht ausgetrieben, verträgt der hölzerne Teil der Reben viel mehr. Sobald die Knospe da ist, wird es kritisch. Frost ist dann besonders schlimm.
Wie unberechenbar die Natur ist, zeigt das laufende Jahr. Zuerst war es sehr warm, im April kam Frost zu einem für die Pflanzen ungünstigen Zeitpunkt. Und danach regnete es sehr oft, bei zu hohen Temperaturen. «Pilzbefall ist 2024 ein grosses Problem für die Landwirtschaft. Wenn Getreide von Fusarium befallen ist, verliert es an Wert, im Extremfall kann man es nicht einmal mehr verfüttern», sagt Graf. Umso wichtiger sei die Überwachung in Echtzeit, um noch rechtzeitig eingreifen zu können.
Der digitale Zwilling unterstützt die Landwirt:innen aber nicht nur kurzfristig. «In verschiedenen Gesprächen sagten uns Bauern, dass eine digitale Karte mit allen von ihnen bewirtschafteten Parzellen ihnen auch langfristig dabei helfen kann, ihre Strategie zu planen», sagt Graf.
Aus der Forschung auf den Markt
Bereits als Doktoranden suchten Perich und Graf nach Lösungen, wie die Landwirtschaft in der kleinräumigen Schweiz von den neusten Satelliten der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA profitieren kann. Mit Unterstützung eines Pioneer Fellowships möchten sie ihre Forschung nun auf den Markt bringen. Anfang Mai gründeten die beiden das Unternehmen Terensis, benannt nach einer römischen Göttin, die für das Dreschen von Getreide zuständig ist. Soeben hat Terensis das Spin-off-Label der ETH erhalten.
Die Technologie von Terensis soll der gesamten Landwirtschaft als Entscheidungshilfe dienen. Landwirt:innen erhalten Unterstützung bei der Planung der täglichen Arbeit und in Beratungsgesprächen mit den kantonalen Landwirtschaftsämtern, wenn es zum Beispiel um eine Bewilligung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln geht. «Man kann gemeinsam auf eine Karte schauen und sieht dasselbe, ohne dass die Bäuerinnen oder Bauern lange erklären müssen, von welchen Äckern oder Problemen sie sprechen», sagt Graf. «Dadurch kann die Diskussion datenbasiert und effizient für jeden Ort auf dem Acker geführt werden. Und die Fakten sind greif- und vor allem belegbar», betont Graf. So könne man gemeinsam und schnell eine faktenbasierte Entscheidung treffen. Das spare Zeit auf beiden Seiten.
Digitale Informationen seien aber auch für die Agrarversicherer interessant, betont Graf: «Die Versicherer wollen oftmals nicht im Detail wissen, was wo läuft. Sie interessieren sich aber für die Ertragsschwankungen über die Jahre und über grössere Flächen hinweg. Daraus berechnen sie die Versicherungsprämien.» Die meisten Beurteilungsprozesse bei Ämtern und Landwirtschaftsversicherungen fänden noch manuell statt. «Wenn sie mit unserer Technologie jedes Mal eine Minute schneller entscheiden können, lässt sich insgesamt viel Zeit sparen.»
Auch die Politik verlasse sich lieber auf eine datenbasierte Entscheidungsgrundlage, ergänzen die beiden Forscher – zum Beispiel, wenn es darum geht, Forschungsgelder freizugeben für die Züchtung von an den Standort angepassten Sorten oder bei Sondergenehmigungen für Pflanzenschutzmittel. «Mit datenbasierten Tools wie unserem kann man die Bürokratie reduzieren.»
So einfach wie Google Earth
Die Plattform soll so einfach nutzbar sein wie Google Earth, sagt Perich. «Man muss kein Experte im Kartenlesen sein, um Google Earth zu benutzen. Auch unsere Plattform soll so intuitiv wie möglich sein.»
Es gebe einige Firmen, die an digitalen Lösungen für die Landwirtschaft arbeiten, sagt Perich. «Was uns von den anderen abhebt: Wir bringen die beiden entscheidenden Produktionsfaktoren in der Landwirtschaft, Boden und Wetter, auf einer Plattform zusammen.» Und Graf fügt an: «Niemand möchte zehn verschiedene Abos haben, um das Wetter zu checken, die Biomasse zu prüfen oder um eine Düngeempfehlung zu bekommen. Wir bringen das alles auf einer Plattform zusammen.»
In ihrer Forschung hätten sie nun bewiesen, dass die Technologie funktioniere, sagt Perich. Jetzt gehe es um die Umsetzung – und es brauche ein Umdenken. «Bisherige Gewohnheiten und Methoden zu ändern, ist wohl die schwierigste Aufgabe.»