Mit dem Betonkanu zur nachhaltigen Lösung
Ein ganzes Semester tüftelten und werkelten Roland Brunschweiler und Pascal Minder im Rahmen ihrer Bachelorarbeit an der idealen Materialmischung für ihr Betonkanu «TruchETH». Gestern dann wurde das vier Meter lange und 90 Kilogramm schwere Gefährt zum Transport nach Brandenburg an der Havel verladen, zusammen mit dem Weidenkanu vom Betonkanuverein der ETH Zürich. An der Regatta treten Studierende aus ganz Europa gegeneinander an, insgesamt 79 Teams aus 32 Institutionen. Dabei geht es darum, einen Parcours auf Zeit zu fahren – aber auch um die Konstruktion und das Design der Boote.
In der Vergangenheit belegten die Zürcher Teams regelmässig vordere Ränge, insbesondere im Bereich Konstruktion. Dieses Jahr zielen sie auf den Preis für Nachhaltigkeit. Das besondere an «TruchETH»: Hier besteht die Bewehrung ganz aus Altkleidern. Dafür haben Brunschweiler und Minder gebrauchte Jeans und T-Shirts in Stoffbahnen geschnitten und miteinander verwoben. Das entstandene Netz funktioniert ähnlich wie ein Glasfasergewebe und übernimmt die auftretenden Zugkräfte. Bestrichen ist das Stoffnetz mit mehreren Schichten von «Beton», der auf umweltfreundlichem Zement und Pflanzenkohle basiert. Mit diesen natürlichen Zusatzstoffen soll das verbrauchte CO2 wieder im Beton gespeichert werden.
Kreislauf der Verschwendung
«Wenn man von einem Kanu aus Stoff und Beton hört, denkt man sicher nicht zuerst an Nachhaltigkeit», erzählt Bachelor-Student Pascal Minder. «Aber Nachhaltigkeit, wie auch Verschwendung hat viele Gesichter.» Ein Bericht im Schweizer Fernsehen hatte die beiden Studenten aufgerüttelt. Die Reportage dokumentiert, wie westliche Länder jedes Jahr kaum vorstellbare Mengen an Altkleidern in Entwicklungsländer schicken. Diese, oft als Spenden gedachte Textilien, finden dort aber keinen Platz mehr und landen vielfach im Meer oder werden verbrannt – wie etwa in Ghana, wo täglich 160 Tonnen Textilien ankommen.
Mit ihrem Kanu wollen Brunschweiler und Minder somit Lösungsansätze für zwei Herausforderungen schaffen: Einerseits für das CO2-Problem der Bauindustrie, andererseits für die Abfallberge der Fast-Fashion-Industrie. Während der viermonatigen Entwicklungs- und Experimentierphase haben sie festgestellt, dass Stoff einen sehr guten Verbund mit Beton macht. «Stoff hat sehr interessante Eigenschaften», so Brunschweiler, der ebenfalls Bauingenieurwissenschaften am Departement Bau, Umwelt und Geomatik (D-BAUG) studiert. «Und man kann wirklich viel mit Stoff machen. Mit unserem Kanu aus Stoff und Beton möchten wir zeigen, dass Altkleider erneut und vielseitig gebraucht werden können, zum Beispiel auch in der Bauindustrie.»
Nachhaltigen Kreislauf gestalten
Die Idee eines nachhaltigen Materialkreislaufs haben Brunschweiler und Minder im Rahmen von «TruchETH» konsequent umgesetzt: Neben der Verwendung von natürlichen und recycelten Materialien haben sie statt einer Schalung einen Rahmen gebaut, der nach der Herstellung des Kanus zu einem Kubb-Spiel weiterverwertet werden kann. Weiterhin soll das Kanu nach der Regatta als Überdachung für Wildbienen dienen. Mit diesem technischen Konzept ist es den jungen Ingenieur:innen gelungen, rund 80 Prozent C02 einzusparen im Vergleich zu einem herkömmlich gebauten Betonkanu.
Auch der Betonkanuverein der ETH Zürich startet in diesem Jahr mit einem umweltfreundlichen Boot. Anders als «TruchETH» wurde das Kanu aber nicht als wissenschaftliche Arbeit, sondern mehr als Spassprojekt entwickelt. Das Weidenkanu nutzt natürliche Materialien und alte Techniken wie das Korbflechten. Auch hier wurde eine Schalung mit Holz verzichtet und stattdessen mit einem Rahmen gearbeitet. Dabei musste der Zementleim in mehreren Schichten aufgetragen werden, um eine stabile und wasserdichte Betonschicht zu erlangen.
«Die Teilnahme an der deutschen Betonkanu-Regatta hat eine lange Tradition an der ETH», sagt Robert Flatt, Professor für Baustoffe am D-BAUG, unter dessen Federführung die Kanus fabriziert wurden. «Wir sind nun zum 14. Mal dabei. Seit 2015 vergeben wir die Konstruktion von jeweils einem Kanu als Bachelorarbeit.» In diesem Prozess, sagt Flatt, könnten die Studierenden wertvolle Erfahrungen sammeln, nicht nur in den Materialwissenschaften, sondern auch im Bereich Projektmanagement und Logistik.
Zu den bisherigen Highlights gehörten ein Kanu, dass sie innerhalb von zwei bis drei Stunden vor dem Rennen bauten, ein ultraleichtes Kanu mit einer Wandstärke von etwa 1,5 mm und einige digital gefertigte Kanus, die dazu beigetragen haben, die Grenzen des Möglichen in laufenden Forschungsprojekten am NCCR Digitale Fabrikation zu verschieben. «Die Studierenden müssen bei diesem Projekt viel experimentieren und können so ihr erlerntes Wissen einbringen und in der Arbeit mit verschiedenen Materialien testen.»
ETH Zürich gewinnt den Nachhaltigkeits-Preis
Die ETH Zürich hat an der 18. Betonkanu-Regatta in Brandenburg mit dem Boot «TruchETH» den Preis für Nachhaltigkeit gewonnen. In der Meldung der Fachjury heisst es dazu: «Erstmals wurde ein Preis für eine besonders nachhaltige Bootskonstruktion vergeben. Die ETH Zürich überzeugte hier mit dem Kanu «TruchETH» und u. a. vorgespannten Alttextilien als Bewehrung, einer CO2-optimierten Betonzusammensetzung und der geplanten Nachnutzung der Bootsteile als Bienenstock.» In der Kategorie «Konstruktion» belegten die ETH-Studierenden in diesem Jahr übrigens den vierten Rang.
Neben dem Preis für das schnellste Team, gab es 2022 insgesamt sieben Bewertungskategorien und Preise: «Konstruktion», «Nachhaltigkeit», «Gestaltung», «Offene Klasse», «Leichtestes Kanu» und «Schwerstes Kanu». Zusätzlich geehrt wurde die Mannschaft mit der besten Social-Media-Präsenz sowie das Team, welches während der Regatta am meisten Pech hatte; es bekam einen (Trost-)Preis.