Lasst Bachelors zuerst arbeiten!
Ein Drittel der Schweizerinnen und Schweizer hat sich in den letzten fünf Jahren nicht weitergebildet. Das zeigt eine Umfrage des Bundesamtes für Statistik. Als Grund nennen die Befragten Zeitmangel, die familiäre Beanspruchung oder die Kosten. Für mich zeigen diese Zahlen, dass sich das bisherige Modell der Weiterbildung weiterentwickeln muss.
Das bisherige Modell ist geprägt von eher länger dauernden, in sich geschlossenen Weiterbildungsprogrammen (Master, Diploma oder Certificate of Advanced Studies). In den vergangenen Jahren ist das Angebot der School for Continuing Education der ETH Zürich wenig überraschend am stärksten bei dem kürzesten Format, dem Certificate of Advanced Studies (CAS) gewachsen. Der gleiche Trend lässt sich auch schweizweit beobachten. CAS-Programme lassen sich gut mit einer beruflichen Tätigkeit oder familiären Verpflichtungen unter einen Hut bringen. Und zum Teil lassen sie sich Stück für Stück – oder CAS für CAS – zu einem höheren Abschluss kumulieren. Dass sogar noch kürzere Formate zu sehr spezifischen Fachthemen gefragt sind, zeigt die aktuelle Diskussion in der Europäischen Union rund um sogenannte «Microcredentials».
In Zukunft – so meine These – werden solche Gefässe und Formate aber sowieso eine untergeordnete Rolle spielen. Die (Weiter)Bildung wird zeitlich nicht mehr in abgegrenzten Gefässen stattfinden, sie wird viel mehr ein Kontinuum von Lernleistungen, in welchem fehlendes Wissen und Kompetenzen gezielt nach Bedarf ergänzt werden. Eine solche Weiterbildung käme dem Begriff «lebenslanges Lernen» näher als das bisherige Modell.
Denkt man dieses Konzept zu Ende, wird sich auch das Grundstudium verändern müssen.
Wir wissen schon seit Jahren, dass ein Studienabschluss nicht mehr fürs ganze Berufsleben reicht. Aus dem Anspruch, wonach das vorhandene Wissen und vorhandene Kompetenzen ab und zu ergänzt und erweitert werden sollen, ist die Weiterbildung geboren. Wenn aus dem «ab und zu» künftig ein «kontinuierlich» wird, verliert auch das bisherige Modell des «Frontloadings» seine Berechtigung. Es macht dann keinen Sinn mehr, den Grossteil des Fachwissens eines Gebietes in einem Bachelor und Masterstudium zu Beginn der Karriere zu vermitteln.
Der Bachelor als Eintrittsticket in den Arbeitsmarkt
Vielmehr müssen wir uns auf die ursprüngliche Idee von Bologna zurückbesinnen: Der Bachelorabschluss soll das Eintrittsticket in den Arbeitsmarkt werden, Masterstudiengänge sind bereits eine Spezialisierung und nur für eine ausgewählte Gruppe von Personen als weiterführendes Studium wirklich sinnvoll. Ein Masterstudium wäre in einer solchen Zukunft kein fester Teil der Grundausbildung mehr. Bei den Fachhochschulen ist diese Sichtweise bereits heute Realität, an universitären Hochschulen sind solche Tendenzen ebenfalls erkennbar.
Manche mögen einwenden, dass ein Grundstudium seine fachliche Basis und dadurch seine Qualität verliert, wenn man es kürzt. Diese Argumentation greift aber nur, wenn ein Grundstudium als isolierte und abgeschlossene Einheit – und die Weiterbildung als Option betrachtet wird, die zum Einsatz kommt, wenn jemand Wissenslücken hat. Wenn wir jedoch davon ausgehen, dass es keine lückenlosen Ausbildungen mehr geben wird und Weiterbildung zur kontinuierlichen Norm wird, verändert sich das Bild. Dann verwischen sich lediglich die Grenzen: Ob ein Programm zur Ausbildung oder doch eher zur Weiterbildung zählt, wird dann keine so wichtige Rolle mehr spielen. Und eine kontinuierliche Bildung, die fliessend in das Arbeitsleben übergeht, hat auch ihre Vorteile. Denn die Qualität einer Ausbildung bemisst sich schon heute nicht nur an der Quantität des Wissens, sondern auch daran, wie es angewendet werden kann.