Wenn Quantencomputing auf die reale Welt trifft
Vor einem Jahrhundert wurden die theoretischen Grundlagen der Quantenmechanik geschaffen. In den 80er Jahren kamen die Forschenden zu der Erkenntnis, dass die Quantenmechanik nicht nur eine genaue Beschreibung natürlicher Phänomene darstellt, sondern auch zu revolutionären technologischen Entwicklungen führen kann, von denen die aufregendste die Quanteninformatik ist. Unter Ausnutzung von Quantenphänomenen wie der Superposition (Eigenschaft, die es Quantensystemen ermöglicht, sich so zu verhalten, als befänden sie sich in mehreren Zuständen gleichzeitig, bis sie gemessen werden) und der Verschränkung (Eigenschaft, die den Austausch von Quanteninformationen zwischen zwei Teilchen in einem gewissen Abstand ermöglicht) können Quantencomputer Rechenprobleme lösen, die klassische Computer nicht lösen können. Dieser Vorteil ermöglicht die Entwicklung neuer Algorithmen zur Lösung von Problemen, die sonst undurchschaubar bleiben würden.
Die Quanteninformatik steht noch ganz am Anfang, und es gibt noch viele Herausforderungen zu lösen, bevor sie in der Praxis eingesetzt werden kann. Einer der wichtigsten Forschungsbereiche ist die Entwicklung neuer oder die Verbesserung bestehender Quantengeräte, um die Leistung und Größe von Quantencomputern zu erhöhen. Die Forschenden bemühen sich auch um die Abschwächung und Korrektur von Quantenfehlern, da diese verhindern, dass das System seine Quanteneigenschaften beibehält, was die Funktionsweise von Quantencomputern stört und sie unpraktisch macht. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Entwicklung neuer Quantenalgorithmen, die «reale» Probleme lösen können.
Die EPFL-Forscherinnen und -Forscher haben bereits einige reale Probleme im Visier, und zwar mit Pionierprojekten zur Entwicklung von Quantencomputing-Anwendungen, die auf die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) abzielen: «Alle Anwendungsfälle, an denen wir arbeiten, wenden Methoden und Werkzeuge des Quantencomputings auf die Bereiche Umwelt, Ernährung, Transport, Energie und Medizin in Entwicklungsländern an», erklärt Vincenzo Savona, ausserordentlicher Professor am Labor für Theoretische Physik von Nanosystemen (LTPN) und akademischer Direktor des EPFL-Zentrums für Quantenwissenschaften und -technik (QSE).
Diese Anwendungsfälle stellen eine gemeinsame Anstrengung dar, die Akademiker, Privatunternehmen und politische Entscheidungsträger zusammenbringt.
Quantenvorteile mit konkreten Zielen
Obwohl wir noch weit von einem vollständigen Einsatz von Quantensystemen entfernt sind, sind die Fähigkeiten des Quantencomputers in bestimmten Bereichen potenziell von Vorteil. Wie der Physiker Richard Feynman bereits in den 1980er Jahren vorschlug, könnte die Simulation von quantenmechanischen Systemen eine der wirkungsvollsten Anwendungen sein.
«Mit Quantencomputern könnten wir Atome, Moleküle und Materialien simulieren und so die Eigenschaften der Materie genauer beschreiben», erklärt Savona. Ein tieferes Verständnis der elektronischen Struktur der Materie kann beispielsweise bei der Entwicklung neuer Moleküle helfen, die in der Medizin und Biologie Anwendung finden.
Die Optimierung komplexer Probleme ist ein weiterer Bereich, in dem Quantencomputer einen bedeutenden Vorteil haben könnten, insbesondere in den Bereichen Umwelt, Industrie, Logistik, Transport und Lieferkette. Sie könnten beispielsweise dabei helfen, die effizienteste Route für Lieferfahrzeuge zwischen zwei Punkten zu finden und so den Kraftstoffverbrauch und die Emissionen zu verringern. Quantencomputer könnten auch eine bessere Zuteilung medizinischer Ressourcen im Gesundheitssystem oder eine effiziente Energieverteilung in Stromnetzen ermöglichen. Ein weiteres praktisches Beispiel ist die Optimierung der Struktur von Materialien, die zu verbesserten Eigenschaften wie Festigkeit und Leitfähigkeit führt: «Das sind Probleme, die klassische Computer im Allgemeinen nicht effizient lösen können», sagt Savona.
Das Quantencomputing eröffnet auch vielversprechende Aussichten, wenn es mit anderen Technologien wie der KI kombiniert wird. Quantensysteme mit ihrer unvergleichlichen Fähigkeit, komplexe Berechnungen durchzuführen, können die KI in die Lage versetzen, Probleme anzugehen, die für klassische Computer derzeit unerreichbar sind. Mit ihrer Hilfe können neuronale Netze effizienter trainiert werden, wodurch das aufkeimende Feld des maschinellen Lernens auf Quantenbasis entsteht. KI und maschinelles Lernen wiederum werden zur Simulation der Eigenschaften komplexer Quantensysteme eingesetzt. Die Verbindung zwischen Quantencomputern und KI stellt das künftige Paradigma des fortgeschrittenen Computings dar.
Konkrete SDGs mit Quantencomputing angehen
«Die SDGs umfassen viele Ziele, die bereits im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen, unter anderem in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Innovation und ökologische Nachhaltigkeit», erklärt Marcel Salathé, Akademischer Co-Direktor des EPFL AI Center. «Dank der Expertise der EPFL in den Bereichen KI und Quantenwissenschaften unterstützen wir direkt NGOs und internationale Organisationen und helfen ihnen, ihre Ziele zu erreichen.»
Im Rahmen der Partnerschaft des QSE-Zentrums mit dem Geneva Science and Diplomacy Anticipator (GESDA) und dem am CERN angesiedelten Open Quantum Institute (OQI) untersuchen die EPFL-Forschenden, wie Quantentechnologien spezifische Probleme angehen könnten, die Entwicklungsländer betreffen und für die SDGs von grosser Bedeutung sind.
Devis Tuia, Associate Professor of Environmental Computational Science and Earth Observation Laboratory an der EPFL, setzt maschinelles Lernen ein und entwickelt Tools, um die Umwelt zu verstehen. Die Quantentechnologien können bei der Lösung realer Probleme helfen, doch er betont, dass die Einbindung der lokalen Bevölkerung von grundlegender Bedeutung ist: «Wir müssen die Technologien in Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern vor Ort entwickeln und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Daten und Arbeitsabläufe selbst zu verwalten», sagt der Forscher. «Sie wären überrascht, wie sehr die lokalen Regierungen diese Initiativen unterstützen, wenn sie sehen, dass wir eine Lösung einführen können, die ihr Leben verbessert», fügt Savona hinzu.
Einer der von Savona geleiteten Anwendungsfälle besteht in der Erforschung und Optimierung der autonomen Produktion von Lebensmitteln in einigen Regionen Südafrikas im Einklang mit dem Ziel der nachhaltigen Entwicklung 2, Null Hunger (Link). Bei diesem Anwendungsfall geht es um die Möglichkeit, mit Hilfe von Quantencomputern sehr genau die Menge und die Art der benötigten Pflanzen in einem großen Netzwerk zu berechnen, in dem es viele Erzeuger gibt und das von verschiedenen Behörden verwaltet wird: «Dies ist ein großes multikriterielles Optimierungsproblem, das für klassische Computer typischerweise schwer zu berechnen ist. Wir hoffen, dass wir die Vorteile von Quantencomputern nutzen können, um bei der Lösung dieser Probleme zu helfen», sagt Savona.
Wenn die Schlussfolgerung lautet, dass Quantencomputer für ein bestimmtes Problem nicht geeignet sind, dann ist das ein wichtiges Ergebnis, weil wir dazu beigetragen haben, das Problem sowie seine Herausforderungen und Hindernisse zu identifizieren», sagt Savona.
Schaffung eines Dialogs für das Gemeinwohl
Die akademische Welt spielt eine wesentliche Rolle bei der Grundlagenforschung im Quantencomputing. Aufgrund der beträchtlichen wirtschaftlichen Investitionen, die erforderlich sind, führen private Unternehmen wie Microsoft, Amazon, Google oder IBM jedoch einen erheblichen Teil der Forschung und Entwicklung in diesem Bereich durch. «Es gibt immer Dinge, die wir von beiden Seiten lernen», sagt Savona, «zum Beispiel stellen wir in der Wissenschaft einige der Methoden und Werkzeuge in Frage, die Unternehmen verwenden.»
«Wege zu finden, um die Synergien zwischen akademischen und privaten Einrichtungen zu nutzen, ist der Schlüssel zur Gewährleistung einer nachhaltigen technologischen Entwicklung», fügt Philippe Caroff, Exekutivdirektor des QSE-Zentrums, hinzu. Caroff arbeitet auch mit dem Open Quantum Institute und der GESDA in Bereichen zusammen, die mit dem Bildungsauftrag der EPFL übereinstimmen und dazu beitragen, das Bewusstsein für die Quantenwissenschaft zu fördern.
An der EPFL planen die Forschenden des QSE-Zentrums auch die Entwicklung einer virtuellen Plattform, die allen Forschenden unabhängig von ihrem geografischen Standort den Zugang zum Quantencomputing ermöglicht. Diese Fähigkeit zum Quantencomputing könnte für die Entwicklung und das Testen von Quantenalgorithmen von entscheidender Bedeutung sein und wird sowohl der Forschung als auch der Ausbildung an der EPFL zugute kommen: «Die wirtschaftliche Entwicklung ist dank unseres Technologietransfers und unserer Spin-offs möglich und kommt bereits jetzt sowohl der lokalen als auch der globalen Industrie zugute», sagt Caroff.
Gleichzeitig ist die Bildung der Schlüssel, um das Wissen und das Verständnis der Menschen für die neuen Technologien sicherzustellen. Mit diesem Ziel entwickelt die EPFL bei ihren Studierenden die Grundlagen des rechnerischen Denkens: «Ich denke, wir müssen dasselbe mit der Quantenmechanik und dem Quantencomputing tun», sagt Savona. Die Master-Studierenden in Quantum Science and Engineering an der EPFL profitieren nun auch vom ersten Kurs über nachhaltige Entwicklung im Lehrplan.
Um die Öffentlichkeit für die Bedeutung der Quantenwissenschaft und ihrer Anwendungen zu sensibilisieren, hat die UNESCO das Jahr 2025 zum Internationalen Jahr der Quantenwissenschaft und -technologie ausgerufen: «Alle Fortschritte der Menschheit sind das Ergebnis kollektiver Anstrengungen. Dies ist ein intellektuelles Streben, das nur möglich ist, wenn die Technologie so vielen Menschen wie möglich zugänglich gemacht wird», so Savona abschliessend.