Wenn Wasserkraftwerke Kohlendioxid ausstossen
Der Kariba-Staudamm ist riesig. Ein wahres Ungetüm aus einer Million Kubikmeter Beton. Erbaut wurde das Werk im Jahr 1959, fünf Jahre vor der Unabhängigkeit Sambias und Simbabwes, die damals als britische Kolonien noch Nord- beziehungsweise Süd-Rhodesien hiessen. «Der Staudamm war ein kolonialistisches Projekt, um Strom für die Kupferminen im Norden von Sambia zu liefern», erzählt Bernhard Wehrli, Leiter der Forschungsgruppe Aquatische Chemie an der Eawag.
Die gekrümmte, bis zu 24 Meter dicke und maximal 128 Meter hohe Wand staut den Sambesi-Fluss am Ende der Kariba-Schlucht zum grössten künstlichen See der Welt. Dessen Fläche ist zehnmal so gross wie die vom Bodensee. «Der Kariba-Staudamm ist überdimensioniert, heute würde man ihn kleiner bauen», sagt Elisa Calamita, Postdoktorandin an der Abteilung Oberflächengewässer der Eawag. Das Wasser verbleibt im Durchschnitt drei Jahre lang im See, bevor es durch die Turbinen des Kraftwerks donnert. In diesen drei Jahren sorgen biogeochemische Prozesse dafür, dass organisches Material verrottet – und sich im Kariba-Stausee Treibhausgase wie Kohlendioxid bilden.
Schwankungen im Jahres- und im Tagesverlauf
Calamita und Wehrli haben in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus Italien und den Niederlanden in einer soeben veröffentlichten Studie erstmals untersucht, wie viel Kohlendioxid unterhalb des Staudamms in die Atmosphäre entweicht. Ausschlaggebend sind zwei Faktoren. Einerseits die Schichtenbildung (oder Stratifikation) im See. Jeweils im Januar und Februar – in den Sommermonaten der südlichen Halbkugel – wird das Wasser an der Oberfläche bis zu 25 Grad warm. Weil wärmeres Wasser sich stärker ausdehnt, ist es spezifisch leichter. Es liegt wie ein Deckel auf den unteren Wassermassen, wo sich die Kohlendioxidkonzentrationen zusehends in die Höhe schrauben, bis sich im Juli die oberste Schicht mit dem 18 Grad warmen Wasser weiter unten im See vermischt, weil sich dann jeweils die Luft auf 10 Grad abkühlt und starke Winde mithelfen, die Wassermassen zu verrühren.
Neben diesem Jahreszyklus wirkt sich andererseits eine weitere Komponente auf den Kohlendioxid-Ausstoss unterhalb des Kariba-Staudamms aus. Weil der Strombedarf morgens zwischen sechs und zehn Uhr sowie abends zwischen 18 und 20 Uhr am höchsten ist, lässt das Kraftwerk zu diesen Zeiten mehr Wasser durch die Turbinen. Wie die Forschenden nun gezeigt haben, weisen auch die Kohlendioxid-Emissionen diese täglichen Schwankungen auf. «Für mich war das der Aha-Effekt dieser Studie», sagt Wehrli.
«Daten müssen vor Ort gesammelt werden»
Treibhausgas-Emissionen unterhalb von Wasserkraftwerken seien bisher vernachlässigt worden – und würden auch in den aktuellsten CO2-Bilanzen deshalb noch nicht berücksichtigt, sagt Calamita. Dabei machen die Stausee-Emissionen schätzungsweise etwa zwei bis drei Prozent des gesamten Treibhausgas-Fussabdrucks der Menschheit aus. «Wasserkraft ist nicht per se CO2-neutral», sagt Wehrli. In der Schweiz sei ein bedeutender Ausstoss an Kohlendioxid mit dem Bau der Staumauern verbunden, diese Emissionen liessen sich allerdings auf 80 Jahre diskontieren – und spielten deshalb im Vergleich mit Kohlenkraftwerken keine grosse Rolle. «Doch einzelne tropische Kraftwerke, etwa der Belomonte-Staudamm am Amazonas, sind richtige CO2-Schleudern», sagt Wehrli.
Das gilt zwar nicht für das Kariba-Kraftwerk, bei dem nicht die Kohlendioxid- sondern eher die Methan-Emissionen ins Gewicht fallen. Trotzdem zeigten ihre Messungen, dass im globalen Norden gewonnene Befunde nicht einfach auf tropische Wasserreservoirs extrapoliert werden können. Die Untersuchungen zeigten zudem, dass zeitliche Schwankungen zu groben Fehleinschätzungen der Kohlendioxid-Emissionen führen können. Deshalb brauche es Beobachtungen über längere Zeiträume. Und: «Die Daten müssen vor Ort gesammelt werden», sagt Calamita. «Es braucht internationale Anstrengungen, um dies weiterhin zu ermöglichen.»