Mit nachhaltigem Kerosin abheben

Weltweit arbeiten Forschende daran, neue Produktionswege für klimaneutralen 
Flugtreibstoff zu finden und zu optimieren. Am PSI verfolgen sie gemeinsam 
mit der Industrie einen vielversprechenden Ansatz.
 
Marco Ranocchiari (links) und Jörg Roth verfolgen das Ziel, die Produktion von SAF im industriellen Massstab voranzutreiben. Als einer der notwendigen Schritte wird derzeit eine Pilotanlage auf dem Gelände des PSI errichtet. © Paul Scherrer Institut PSI/Markus Fischer

Ein grosser Hoffnungsträger der Luftfahrtbranche, um das ausgerufene Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, heisst Sustainable Aviation Fuel, kurz SAF. Bislang eingesetztes Kerosin besteht aus einem Mix bestimmter Kohlenwasserstoffe, die auf Erdöl basieren. Bei ihrer Verbrennung in den Flugzeugturbinen wird neben der Energie auch Kohlendioxid (CO2) frei. Dessen Konzentration in der Atmosphäre steigt, das Klima heizt auf. 

SAF besteht aus den gleichen Kohlenwasserstoffen und kann das fossile Kerosin anders als Energieträger wie Strom oder Wasserstoff unmittelbar ersetzen. «SAF lässt sich direkt in die bestehende Flughafeninfrastruktur integrieren und mit ein paar Anpassungen in konventionellen Triebwerken nutzen», erklärt Marco Ranocchiari, Chemiker am PSI und Leiter der ESI-Plattform (ESI steht für «Energy System Integration», die Plattform ist eine Versuchsanlage für umweltfreundliche Energien der Zukunft). 

Der Klimavorteil von SAF besteht darin, dass die Kohlenwasserstoffe nicht in Form von Erdöl dem Erdboden entnommen werden und die Atmosphäre zusätzlich belasten. Stattdessen dient biologisches Material von der Oberfläche als Quelle – bislang vor allem gebrauchte pflanzliche und tierische Speiseöle und -fette. Der enthaltene Kohlenstoff stammt aus der Atmosphäre, die CO2-Konzentration bleibt unterm Strich gleich. Der Antrieb ist klimaneutral – vorausgesetzt, Herstellung und Transport des SAF laufen ausschliesslich mit erneuerbarer statt fossiler Energie. Aktuell ist das noch nicht der Fall. Daher kann SAF die CO2-Emissionen eines Fluges zurzeit noch nicht auf null drücken, aber immerhin um rund 80 Prozent senken. 

Allerdings ist die Produktion der erforderlichen Mengen von SAF zu tragbaren Kosten eine grosse Herausforderung. Weltweit wurden 2023 rund 600 Millionen Liter SAF produziert, ein winziger Bruchteil der benötigten rund 325 Milliarden Liter. 2050, so schätzt der Dachverband der Fluggesellschaften IATA, wird der Bedarf, wenn man das fossile Kerosin komplett ersetzen will, bei 450 Milliarden Litern liegen. Mit verschiedenen Partnern untersuchen, entwickeln und optimieren deshalb PSI-Forschende mehrere Möglichkeiten, Kerosin ohne Erdöl herzustellen. Etwa in der dreijährigen SynFuel-Initiative gemeinsam mit der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa und finanzieller Unterstützung des ETH-Rats. Oder mit dem Klima-Start-up Metafuels.

Die verfügbare Biomasse reicht nicht

Eine Möglichkeit basiert auf Biomasse. Bereits im Einsatz und als einzige Option bislang zertifiziert ist SAF aus Speiseölen und -fetten. In einem als Hydrolyse bezeichneten Verfahren werden aus Ölen Fettsäuren gewonnen. Über weitere Verfahrensschritte werden diese dann zu einem Produkt verwandelt, das Rohöl ähnelt. Zuletzt wird dieses mit Wasserstoff zu Bio-Kerosin veredelt. Dieses SAF der ersten Generation darf heute bis zu 50 Prozent herkömmlichem Kerosin beigemischt werden. 

Doch so viel Frittiertes kann die Menschheit gar nicht vertilgen, um genügend altes Speiseöl für die Produktion der notwendigen Mengen SAF zu generieren. Daher erkunden die Forschenden weitere Wege, Biomasse in Kerosin zu verwandeln. Sägespäne und andere Pflanzenreste aus Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft etwa bieten sich an oder Klärschlamm. Mit verschiedenen hydrothermalen Verfahren – also unter Einsatz von Hitze, Druck und Wasser – gewinnen die Forschenden aus dem Material die gesuchten Kohlenwasserstoffe, die dann mit Wasserstoff zu Kerosin veredelt werden. 

Doch selbst das wird nicht ausreichen, und so suchen die Forschenden nach weiteren Möglichkeiten, fossiles Kerosin zu ersetzen. So könnte eine Variante des SAF unter Einsatz von Ökostrom (Power-to-Liquid) oder direkt durch die Kraft der Sonne (Sun-to-Liquid) aus den simplen Ausgangsstoffen Wasserstoff und Kohlendioxid künstlich hergestellt werden. Man nennt dieses SAF der zweiten Generation daher auch «e-Kerosin». Davon liessen sich erheblich grössere Mengen herstellen als aus alten Speiseölen.

Künstliche Treibstoffe sind besonders umweltfreundlich

Ein Verfahren, das aus kohlenwasserstoffreichen Feststoffen und Gasen Treibstoffe herstellen kann, ist schon lange bekannt: Es nennt sich Fischer-Tropsch-Synthese, benannt nach den deutschen Chemikern Franz Fischer und Hans Tropsch, die es bereits vor knapp 100 Jahren zum Patent anmeldeten. Dabei wird bei Temperaturen von 150 bis 350 Grad Celsius an kobalt- oder eisenhaltigen Katalysatoroberflächen, die die chemischen Reaktionen regulieren, Kohlenstoffmonoxid mit Wasserstoff hydriert. Das Verfahren hat sich etabliert und wird heute in grosstechnischem Massstab eingesetzt. 

«Kerosin ist allerdings besonders anspruchsvoll», sagt der PSI-Chemieingenieur Jörg Roth, Projektkoordinator von SynFuel. Der sehr energiereiche Treibstoff bestehe aus einer speziellen Kombination leichter und schwerer Kohlenwasserstoffe. Diese Kombination verleiht dem Kerosin bestimmte Werte bei Viskosität, Siede-, Flammpunkt und anderen Parametern, die für die nötige Sicherheit beim Fliegen unbedingt eingehalten werden müssen. Das Fischer-Tropsch-Verfahren produziert aber einen wilden Mix, in dem viele Sorten enthalten sind, die man im Kerosin nicht haben will. «Man muss das Produkt erst aufwendig aufbereiten, um hochwertiges Kerosin zu erhalten, und hat dadurch grosse Effizienzverluste», räumt Roth ein.

Der Weg über Methanol ist vielversprechend

Forschende des PSI arbeiten deshalb daran, Alternativen zu entwickeln. Eine Möglichkeit stellt die sogenannte Methanolsynthese dar. Dabei wird mit Katalysatoren aus Zinkoxid und Kupfer unter hohem Druck Methanol aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff produziert. Das Verfahren ist zwar lange etabliert, doch wie sich aus Methanol (CH3OH) über weitere Syntheseschritte längerkettige Kohlenwasserstoffe wie Ethen (C2H4), Propen (C3H6), Buten (C4H8) und letztlich Kerosin produzieren lassen, wird erst mit neuerer Forschung offenbar. 

Reaktortyp, Temperatur, Druck, Verhältnis zwischen Wasserstoff und Kohlenstoffoxiden sind nur einige Parameter, die dafür aufeinander abgestimmt werden müssen. «Das Entscheidende aber ist die Wahl des Katalysators», sagt ESI-Leiter Ranocchiari. Ein Katalysator ist ein Material, das bestimmte chemische Reaktionen fördert, manche macht er überhaupt erst möglich. In diesem Fall steuert er die zunehmende Verkettung der Kohlenwasserstoffe. Die Porengrösse seiner Oberfläche bestimmt, welche Molekülketten entstehen. Der richtige Katalysator sorgt also für weniger unerwünschte Nebenprodukte. Vor allem bricht er die Reaktionen an einem gewissen Punkt ab. «Sonst wird die Kohlenstoffkette endlos, und wir haben am Ende nur Wachs», erklärt Jörg Roth. 

Die auf der ESI-Plattform gewonnenen Erkenntnisse sind auch Basis für eine aussichtsreiche Industriekooperation, die Anfang letzten Jahres startete: «Das Schweizer Start-up Metafuels war auf uns zugekommen», erzählt Ranocchiari. Die Firma sieht in SAF einen riesengrossen Markt, hatte schon einen Businessplan und potente Investoren aus dem Green-Tech-Bereich an der Hand. Was noch fehlte, war der Nachweis, dass man SAF effizienter herstellen kann als mit herkömmlichen Fischer-Tropsch-Anlagen. Erst dann würde die Produktion wirtschaftlich tragfähig. 

Der Katalysator sorgt für den richtigen Mix

Gemeinsam haben die Projektpartner verschiedene Ideen getestet und letztlich eine funktionierende Konfiguration inklusive eines effektiven Katalysators gefunden. Im Labor funktioniert die Synthese bereits wie gewünscht. Nun gilt es, den Prozess zu skalieren: Aktuell stellen die Partner die Komponenten für eine etwa hausgrosse Pilotanlage zusammen, die kommendes Jahr auf dem Gelände des PSI in Betrieb gehen und 50 Liter SAF am Tag produzieren soll. Der Bau wird vom Bundesamt für Energie (BFE) mit neun Millionen Franken unterstützt. Bis 2028 will Metafuels dann eine erste kommerzielle Anlage im industriellen Massstab mit rund hundertfacher Kapazität bauen. «Wie die Herstellung in diesem Massstab optimal zu gestalten ist, müssen wir mit der Pilotanlage erst herausfinden», räumt Ranocchiari ein. 

Jedenfalls versprechen sich alle Beteiligten von ihrer neu entwickelten Technologie, die sie «aerobrew» getauft haben, wichtige Impulse auch für Nachahmerprojekte, um das grosse Ziel Klimaneutralität zu erreichen: «Vor allem solche Transferprojekte zwischen Forschung und Industrie können den Weg weisen«, meint Thomas J. Schmidt, Leiter des Center for Energy and Environmental Sciences am PSI. 

Die Chancen, dass SAF dies schafft, sehen die Beteiligten als sehr hoch an. Zumal es nicht nur ermöglicht, den CO2-Ausstoss auf ein Minimum zu drücken, ohne die gesamte Luftfahrt technisch umzukrempeln, sondern auch die für die Klimaerwärmung sogar noch relevanteren Nicht-CO2-Effekte des Fliegens anzugehen. Synthetisches Kerosin lässt sich so gestalten, dass es im Betrieb zu weniger Wolkenbildung führt und auch damit die Klimaerwärmung eindämmt.

Inwieweit das sinnvoll und machbar ist, soll eine neue Initiative mit Namen reFuel.ch bis 2032 erforschen. Neben der Zusammensetzung von SAF nimmt das Projekt einen weiteren, wichtigen Aspekt in den Fokus: «Die Ausgangsstoffe wie Methanol, Kohlenmonoxid und Ethylen sind im Wesentlichen dieselben, die auch in der chemischen Industrie verwendet werden, um daraus alle möglichen Kunststoffe und auch etwa Feinchemikalien für Medikamente herzustellen», sagt Thomas J. Schmidt. Bislang diene dafür als Basis meist Erdgas, also ebenfalls eine fossile, klimaschädliche Ressource. Auch wegen dieser vielseitigen Anwendbarkeit hat reFuel.ch eine BFE-Förderung von 15 Millionen Franken erhalten.

Der Bedarf ist riesig

Ein Faktor allerdings bleibt: Die Produktion von SAF wird auch mit weiteren Effizienzgewinnen deutlich mehr Strom erfordern als die von herkömmlichem Kerosin. Das liegt vor allem an der energieinten­siven Wasserstoffproduktion per Elektrolyse und an den Energieverlusten bei jedem Produktionsschritt – Elektrolyse, CO2-Gewinnung, Synthetisierung. Deshalb ist SAF aktuell noch vier- bis siebenmal teurer als normales Kerosin. «Am Ende sind daher die Investitionskosten für die neuen Technologien, die wir gerade entwickeln, nicht entscheidend», sagt Jörg Roth, «sondern die Kosten für die Energie, die sie betreiben werden.» Berechnungen zeigen: Um den aktuellen Kerosinbedarf der Luftfahrt synthetisch zu decken, wäre mindestens dreimal so viel Solar- und Windenergie nötig, wie 2021 weltweit insgesamt produziert wurde. Der Bedarf ist also riesig. Und dementsprechend wird die gesamte Idee von SAF als Kerosinersatz umso lohnender, je günstiger wir diese Energie gewinnen.