Lenkbare Softroboter verbessern medizinische Anwendungen
In den letzten Jahrzehnten hat die kathetergestützte Chirurgie die Medizin verändert und den Ärztinnen und Ärzten eine minimalinvasive Methode an die Hand gegeben, mit der sie alles machen können – vom Einsetzen von Stents über die gezielte Entfernung von Tumoren bis hin zur Entnahme von Gewebeproben und der Verabreichung von Kontrastmitteln für die medizinische Bildgebung. Die heutigen Katheter sind zwar hochentwickelte Robotergeräte, doch in den meisten Fällen ist das Vorschieben der Katheter durch den Körper zum Ort des Eingriffs nach wie vor ein manuelles und zeitaufwändiges Verfahren.
Durch die Kombination von Fortschritten in der Entwicklung funktioneller Fasern mit Entwicklungen in der intelligenten Robotik haben Forschende des Laboratory of Photonic Materials and Fiber Devices der EPFL-Fakultät für Ingenieurwissenschaft und Technologie multifunktionale katheterförmige Softroboter entwickelt, die als Katheter eingesetzt, aus der Ferne an ihren Bestimmungsort geführt werden oder durch halbautonome Steuerung sogar ihren eigenen Weg finden könnten. «Dies ist das erste Mal, dass wir weiche katheterähnliche Strukturen mit einer solchen Skalierbarkeit erzeugen können, die komplexe Funktionen integrieren und potenziell im Körper gesteuert werden können», sagt Fabien Sorin, der Leiter der Studie. Ihre Arbeit wurde im Journal of Advanced Science veröffentlicht.
Die Forschenden stellten die Fasern mit dem thermischen Ziehverfahren her, das üblicherweise zur Herstellung von Glasfaserkabeln verwendet wird, ähnlich wie man eine lange Käsestange aus einem Fondue zieht und aushärten lässt. Die Wahl des Materials war entscheidend, wobei Elastomere – elastische Polymere, die bei Dehnung in ihre ursprüngliche Form zurückkehren – die bevorzugte Kandidatin waren: Sie sind nicht nur flexibel, sondern auch weich genug, um Verletzungen des empfindlichen Körpergewebes zu minimieren. Aber, so Andreas Leber, Erstautor der Studie: «Bisher war das thermische Ziehen auf harte Materialien beschränkt. Glücklicherweise hat unsere Gruppe eine Klasse von thermoplastischen Elastomeren identifiziert, die gezogen werden können und ihre elastomeren Eigenschaften nach dem Ziehen beibehalten.»
© Alain Herzog
Integration von Bewegungssteuerung, Sensorik und Medikamentenverabreichung
Um lange Fasern zu erzeugen, die über ihre gesamte Länge mehrere Kanäle aufweisen, mussten die Forschenden die Parameter des Ziehprozesses genau abstimmen: «Eine wichtige Eigenschaft des Prozesses ist das Zusammenspiel zwischen der Viskosität des Materials, die das Ziehen einer kontinuierlichen Faser ermöglicht, und der Oberflächenspannung, die dazu führen kann, dass die Kanäle in der Faser kollabieren», sagt Fabien Sorin.
Indem das Team die Materialeigenschaften, die Ziehgeschwindigkeit und die Temperatur genau richtig einstellte, konnte es die kontinuierlichen Kanäle, die sorgfältig im Mikrometermassstab in den Fasern angeordnet sind, zuverlässig herstellen, um der Faser ihre robotischen Fähigkeiten zu verleihen. Indem beispielsweise ein Motor an einer oder mehreren in die Kanäle eingeführten Sehnen zieht – ein bewährter Ansatz bei intelligenten Kathetern – könnten Ärztinnen die Ausrichtung des Faserendes steuern, um es durch den Körper zu führen.
Neben den Kanälen können die Fasern mit Hilfe des thermischen Ziehverfahrens mit einer Vielzahl von Elementen ausgestattet werden: «Zusätzlich zu den Sehnen können in die Fasern optische Leiter, Elektroden und Mikrokanäle integriert werden, die die Verabreichung von Medikamenten, die Bildgebung, die elektrische Aufzeichnung und Stimulation und andere in der Robotik und in medizinischen Anwendungen übliche Werkzeuge ermöglichen», erklärt Leber.
Diese funktionalen Elemente öffnen auch die Tür zu autonomen faserförmigen Robotern: «Die integrierten Lichtleiter verleihen den Fasern einen Sehsinn. Sie können Hindernisse auf ihrem Weg erkennen und umgehen und sogar gezielt Objekte, wie zum Beispiel Hohlräume, selbständig finden», so Leber weiter. Entscheidend ist dabei ein ausgeklügelter Steuerungsalgorithmus und eine Software-Benutzeroberfläche, die das Team im Labor von Grund auf neu entwickelt hat.
Hochgradig skalierbare Fertigung
Das klingt kompliziert, aber die Herstellung dieser Multimaterial-Fasern ist bemerkenswert einfach: «Wir verwenden eine Technologie zur Herstellung von Glasfasern, die sehr skalierbar ist. Man kann über Nacht Hunderte von Kilometern an Glasfasern herstellen. Daher bietet unser Herstellungsansatz eine neuartige, skalierbare Möglichkeit, weiche katheterähnliche Strukturen mit einer noch nie dagewesenen Kombination fortschrittlicher Funktionen herzustellen», so Sorin.
Ferngesteuerte Katheter sind nur eine von vielen spannenden potenziellen Anwendungen, die diese neue Klasse von faserbasierten weichen Robotern ermöglichen könnte: «Der sehnenbasierte Ansatz zur Bewegungssteuerung ist ein erster Schritt in der Entwicklung von thermisch gezogenen intelligenten Kathetern. Der nächste Schritt wird darin bestehen, zu elektrischen oder magnetischen Betätigungsmodi überzugehen und die aufregenden Möglichkeiten solcher Fasern einen Schritt näher an die klinische Anwendung heranzutragen», sagt Burak Temelkuran, Mitautor und Gruppenleiter am Hamlyn Center for Robotic Surgery am Imperial College in London.
Intelligente Matratzen, weiche Prothetik und Industrieroboter
Weiche Roboterfasern haben auch ausserhalb des menschlichen Körpers eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten. Matratzen könnten mit ihnen ausgestattet werden, um die Schlafqualität zu überwachen oder ihre Materialeigenschaften als Reaktion auf den gemessenen Druck und physiologische Parameter zu verändern für einen besseren Schlaf. Die Fasern könnten zur Herstellung weicher Prothesen verwendet werden, die auf eine übermässige mechanische Belastung eines Gelenks mit einer Versteifung reagieren. Zu den Anwendungen in der Industrie oder der Umweltsensorik könnten auch selbststeuernde weiche Roboter gehören, die auf der Grundlage von Informationen navigieren, die von integrierten Wärmesensoren, haptischen Sensoren und sogar elektrischen und optischen Systemen für das Sehen erfasst werden.