Einblick in die Seismizität, die durch Geothermie-Technologie ausgelöst wird
Um den Übergang zu einer kohlenstofffreien Wirtschaft zu unterstützen, suchen Energieerzeuger eifrig nach Möglichkeiten, geothermische Energie sicher aus der Tiefe zu gewinnen. Brice Lecampion, ausserordentlicher Professor der EPFL, Leiter des Labors für Geo-Energie (GEL) und Inhaber des Gaznat-Lehrstuhls für Geo-Energie an der Fakultät für Architektur, Bau- und Umweltingenieurwesen (ENAC), trägt mit den Arbeiten seiner Forschungsgruppe zu diesen Bemühungen bei. Sie entwickeln Modelle zur Beschreibung des Verhaltens des Untergrunds, mit besonderem Augenmerk auf die Folgen der Injektion von Flüssigkeiten in den Untergrund, d. h. wie der Flüssigkeitsstrom mit den Rissen im Gestein interagiert. Ihre Forschung ist wichtig, da die unterirdische Wassereinspritzung eine Schlüsselrolle bei der Gewinnung von geothermischer Energie, einer erneuerbaren Energiequelle, spielt. Die neuesten Erkenntnisse der Forschenden erscheinen in den Proceedings of the Royal Society A und ebnen den Weg zu einem besseren Verständnis der zugrunde liegenden physikalischen Mechanismen, die bei geothermischen Arbeiten Seismizität auslösen.
In der Schweiz und anderswo sind geothermische Bohrungen, die tief unter der Erde verlaufen (4-6 km unter der Oberfläche), wegen der Gefahr von Erdbeben und der Verschmutzung des Untergrunds umstritten. Ein aktuelles Beispiel ist der lokale Widerstand gegen den geplanten Bau eines geothermischen Kraftwerks in Haute-Sorne im Kanton Jura.
Die Rolle der hydraulischen Stimulation
Geothermiebohrungen, die nicht sehr tief verlaufen, bleiben in durchlässigen Gesteinsschichten, in denen das Wasser leicht zirkuliert. Je weiter sie jedoch unter die Oberfläche vordringen, desto undurchlässiger wird das Gestein. Das bedeutet, dass die Ingenieurfachleute entweder künstlich Risse im Gestein erzeugen müssen, durch die das Wasser fliessen kann, oder bestehende Risse stimulieren müssen, um ihre Durchlässigkeit zu erhöhen. Dies geschieht durch ein Verfahren, das als hydraulische Stimulation bekannt ist. Dieses Verfahren erhöht zwar die Durchlässigkeit des Gesteins, kann aber auch Erdbeben auslösen. So geschah es zum Beispiel 2006 bei einem Pilotprojekt in Basel, als die Flüssigkeitsinjektion zu einem Erdbeben der Stärke 3 führte – und das Projekt abgebrochen wurde.
Grundlegende Mechanismen der induzierten Seismizität
Das Risiko eines induzierten Erdbebens ist besonders problematisch, da es nicht verschwindet, sobald die Flüssigkeitseinspritzung beendet ist, sondern noch eine ganze Weile danach besteht. Alexis Sáez, Doktorand an der GEL und Mitautor der Studie, erklärt: «Wir haben vor allem Erdbeben untersucht, die zwischen einigen Tagen und einigen Monaten nach dem Ende der Flüssigkeitsinjektion auftreten.» Er und Lecampion entwickelten ein 3D-Computermodell und führten umfassende technische Analysen der Wechselwirkungen zwischen der Flüssigkeitsinjektion und den Brüchen durch. Sie beschrieben sehr detailliert, wie sich Brüche nach dem Ende der Flüssigkeitsinjektion weiter verformen und wie dieser verzögerte Verformungsprozess die Auslösung eines Erdbebens begünstigen kann.
«Unser Modell bietet Ingenieurfachleuten eine Orientierungshilfe und neue Berechnungsmethoden, die in allgemeinere Strategien zur Minderung des seismischen Risikos im Zusammenhang mit diesen Operationen integriert werden können», sagt Sáez: «Bisher ist es wirklich schwierig, das Auftreten von durch Injektionen ausgelösten Erdbeben vorherzusagen – Ingenieurfachleute verlassen sich meist auf statistische Ansätze, ähnlich wie sie es bei natürlichen Erdbeben tun. Unsere Forschung ermöglicht ein besseres Verständnis der physikalischen Kräfte, die dabei wirken. Dies ist ein Schritt nach vorn bei der Umsetzung physikalisch basierter Ansätze zur Beherrschung des inhärenten seismischen Risikos dieser Operationen und zur letztendlichen Erschliessung des enormen Potenzials der geothermischen Energie, um die Dekarbonisierung unseres Energiesystems zu erleichtern.»