Innovativer Erneuerungsprozess in der Tiefe des Genfersees
In Seen der gemässigten Zonen kommt es im Winter zu einer tiefen vertikalen Durchmischung, der so genannten Fluktuation. Wenn das Oberflächenwasser abkühlt, wird es dichter, sinkt ab und vermischt sich mit dem tieferen Wasser. Dieser Prozess ist wichtig, denn die Gesundheit des Sees leidet, wenn gelöster Sauerstoff und Nährstoffe nicht gut verteilt sind. Normalerweise erreicht das sauerstoffreiche Oberflächenwasser des Genfer Sees nicht den Grund des Sees, der dadurch sauerstoffarm werden kann. In sehr kalten Wintern kommt es jedoch zu einer vollständigen Durchmischung, so dass die Sauerstoff- und Temperaturwerte von oben nach unten gleich sind. Bisher ging man davon aus, dass diese vertikale Durchmischung die einzige Möglichkeit ist, das Tiefenwasser des Genfersees aufzufrischen.
Aufgrund des Klimawandels kommt es immer seltener zu einer vollständigen vertikalen Durchmischung: «Seit 2012 steigen die Temperaturen, und der Sauerstoffgehalt am Grund des Genfersees ist in zehn Jahren um 90 Prozent gesunken», sagt Naifu Peng, Forscher am Ecological Engineering Laboratory (ECOL) der EPFL. Peng, der sich auf Simulationsmodelle spezialisiert hat, beschäftigt sich vor allem mit den Auswirkungen des Klimawandels. Kürzlich untersuchten er und seine Kollegen vom ECOL die Dynamik der winterlichen Tiefenwassererneuerung im Genfersee. Ihre Ergebnisse wurden kürzlich in Water Resources Research veröffentlicht.
Hydrodynamik im Winter
Nach Angaben der Internationalen Kommission zum Schutz der Gewässer des Genfersees (CIPEL) wurde der Genfersee zuletzt im aussergewöhnlich kalten Winter 2012 vollständig umgeschlagen. Für diesen wichtigen Fall untersuchte das EPFL-Team die grundlegenden Mechanismen, die dieser vollständigen Umwälzung zugrunde liegen. Das Forschungsteam stellte fest, dass die Tiefenwassererneuerung des Genfersees im Jahr 2012 nicht allein durch vertikale Durchmischung, sondern durch viel komplexere, dreidimensionale Mischungsprozesse angetrieben wurde. Der Genfer See besteht aus zwei Becken, dem grossen und tiefen Grand Lac (309 m tief, 85 km3 Volumen) im Osten und dem kleineren und flacheren Petit Lac (75 m tief, 4 km3 Volumen) im Westen, der jährlich umkippt. Es ist bemerkenswert, dass die Zwei-Becken-Struktur des Genfersees für die Erneuerung der tiefsten Schichten des Grand Lac von grundlegender Bedeutung ist.
Die ECOL-Forschenden untersuchten im Winter 2012 die Hydrodynamik des gesamten Genfersees mit Hilfe umfangreicher Feldbeobachtungen und numerischer Modellierung. Ihr kombinierter Ansatz deckte die Grenze der vertikalen Durchmischung im Grand Lac auf: «Durch die Analyse der Wassertemperatur und der Sauerstoffkonzentration fanden wir heraus, dass die vollständige Umwälzung aufgrund der vertikalen Durchmischung im Jahr 2012 doch nicht stattfand», erklärt Peng. «Mit Hilfe hochauflösender numerischer Modelle konnten wir detaillierte Einblicke in die Abläufe dieses Prozesses im gesamten See gewinnen. Vor allem das seitlich aus dem Petit Lac und den flachen küstennahen Zonen des Grand Lac abfliessende Wasser erneuerte die tiefsten Schichten des Sees», so Peng. Das Wasser in den flachen Regionen des Sees kühlt schneller ab als in den tiefen Bereichen, was aufgrund der seitlichen Dichtekontraste zu Strömungen führt, die in den tiefsten Schichten des Grand Lac zu einer Erneuerung des Wassers führen. «Die Abkühlung der Oberfläche im Winter führt also zu Strömungen, die sowohl durch vertikale als auch horizontale Dichtegradienten angetrieben werden, was 2012 zu einer vollständigen Umwälzung des Sees führte.»
Bei fortschreitender Klimaerwärmung wird eine vollständige vertikale Durchmischung des Genfersees im Winter nur noch in gelegentlichen, sehr kalten Wintern stattfinden. Die seitlichen Durchmischungsprozesse werden jedoch weiterhin zur Erneuerung der tiefsten Schichten des Sees beitragen: «Der Genfersee ist mit seiner Zwei-Becken-Struktur nicht ungewöhnlich, so dass die gleiche Art der Winterdurchmischung auch in anderen Seen der gemässigten Zonen zu erwarten ist.»