Nicht auf der rosa Wolke
Was verbinden Sie mit dem «Tag des Lichts»?
Licht ist lebenswichtig und für Forschende und für mich ein wunderbares Werkzeug zum Verstehen von Materialien.
Sie arbeiten am Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL mit Röntgenstrahlen, die wir mit unseren Augen nicht sehen können. Ist Licht dafür überhaupt der richtige Begriff?
Für einen Physiker gibt es keinen Unterschied zwischen sichtbar und unsichtbar, auch infrarote und ultraviolette sowie Röntgenstrahlung bezeichnen wir als Licht. Unser Detektor – das Auge – ist nun mal genau auf das Wellenlängenspektrum der Sonne abgestimmt. Der SwissFEL ist für uns so etwas wie eine sehr präzise und leistungsfähige Sonne, für die wir die geeigneten Detektoren verwenden, nur eben bei kürzeren Wellenlängen.
Was macht Röntgenlicht für die Forschung so wertvoll?
Unter einem Mikroskop kann man Gegenstände erkennen, die nicht kleiner sind als die Wellenlänge des Lichts. Die Wellenlänge des SwissFEL-Röntgenlichts ist sehr kurz und entspricht ungefähr dem Abstand von Atomen. Damit können wir also atomare Strukturen erkennen, sichtbares Licht wäre dafür viel zu grob. Das klingt einfacher, als es sich in der Praxis darstellt. Wichtig ist, dass das Röntgenlicht eine ausgezeichnete Qualität hinsichtlich Intensität, Fokussierung und Kohärenz aufweist. Kohärenz bedeutet, dass alle Lichtwellen in Phase schwingen. Das können Sie sich vorstellen wie bei einem Tandem, bei dem die Velofahrer nicht nur gleich schnell treten, sondern auch immer im gleichen Moment das rechte Pedal oben haben.
Am SwissFEL gibt es mehrere Experimentierstationen. Wofür sind die da?
Röntgenlicht ist nicht gleich Röntgenlicht. Wir unterscheiden zwischen harter Röntgenstrahlung mit hoher Energie, die wir in der Strahllinie Aramis erzeugen, und weicher Röntgenstrahlung mit niedriger Energie, die wir in Athos erzeugen. Mit Aramis füttern wir drei Experimentierstationen, wo wir mit der sehr kurzen Wellenlänge den atomaren Aufbau von Materie untersuchen. Athos dagegen liefert Röntgenstrahlung geringerer Energie, was ideal ist für spektroskopische Untersuchungen. Darüber hinaus haben wir mit Athos die speziellen Systeme CHIC und APPLE-X entwickelt, die es uns erlauben, den Elektronenstrahl des SwissFEL zu manipulieren und FEL-Strahlung «à la carte» mit einzigartigen Eigenschaften zu erzeugen. Das gibt es nur bei Athos und das ermöglicht es uns, unsere Forschung unter optimalen Bedingungen durchzuführen.
Was genau untersuchen Sie damit?
Bei der Spektroskopie schauen wir uns die Elektronen in den Atomen an. Die sind für das chemische Verhalten von Stoffen verantwortlich, aber etwa auch für die elektronischen Eigenschaften von Materie wie zum Beispiel Supraleitung. Die weiche Röntgenstrahlung aus Athos ist ideal, um die elektronische Struktur von Atomen und Materie zu untersuchen. So können wir chemische Zustände studieren. Der Clou ist, dass uns der SwissFEL gepulstes Röntgenlicht liefert. Die Pulse sind unvorstellbar kurz, sie liegen im Bereich von Femtosekunden oder sogar darunter, das ist der millionste Milliardstelteil einer Sekunde. Das ist genau die Zeitspanne, in der Elektronen von einem Zustand in einen anderen springen und eine chemische Reaktion vollziehen. Wir können auf diese Weise chemische Reaktionen in Echtzeit anschauen, gerade so, als würden wir einen «molekularen» Film drehen mit einer extrem schnellen Hochgeschwindigkeitskamera. Das ist übrigens eine Fähigkeit, die nur ein Freie-Elektronen-Röntgenlaser wie der SwissFEL bietet. Er ist damit eine wichtige Ergänzung zu Synchrotrons, die eine Zeitauflösung von Millisekunden bis Nanosekunden erreichen.
Wie ist der Stand der Arbeiten an der Strahllinie Athos?
Wir bauen dort derzeit zwei Experimentierstationen auf: Maloja und Furka. Vereinfacht gesagt ist Maloja für die Forschung an Atomen, Nanopartikeln und Molekülen in Flüssigkeiten und Gasen zuständig, Furka konzentriert sich auf Feststoffe bei sehr tiefen Temperaturen wenige Kelvin vom absoluten Nullpunkt entfernt. In Maloja haben wir bereits im letzten Jahr das erste Röntgenlicht gesehen und schon einige Testexperimente ausgeführt. Dabei haben wir zum Beispiel Edelgas in den Röntgenstrahl geschossen, der mit seiner sehr hohen Intensität und Energie fast alle Elektronen von den Atomen des Gases abstreift durch einen sogenannten Multi-Ionisations-Prozess. Im Sommer sollen dann die ersten Experimente mit externen Nutzern anlaufen. Furka ist noch im Aufbau, diese Experimentierstation werden wir im Sommer in Betrieb nehmen.
Wie haben Sie das angesichts der Einschränkungen durch Corona geschafft und wie wollen Sie die Experimente betreiben, wenn die Wissenschaftler sich an Hygieneregeln halten müssen?
Da haben wir in den letzten Monaten viel gelernt. An einer Endstation arbeiten normalerweise vier bis sechs Forschende sowie zeitweise ausserdem noch Forschende von externen Partnern. Sie alle können derzeit nicht gleichzeitig in einem Raum sein. Aber die Experimentierstationen sind so aufgebaut, dass nur der Tausch der Proben manuell geschieht. Die Steuerung der Experimente kann man genauso gut vom Küchentisch aus machen, zum Beispiel das Starten und Stoppen der Experimente oder das Drehen und Justieren der Probe, das ist alles computergesteuert.
Zurück zum Tag des Lichts der UNESCO: Der steht in diesem Jahr unter dem Motto «Trust in Science». Wie wichtig ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft?
Sehr wichtig. Am PSI schweben wir nicht auf einer «rosa Wolke», sondern geben nützliche Antworten für die Gesellschaft. Dazu müssen wir transparent sein und die Relevanz unserer Forschung zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen zeigen. Als Corona zum Thema wurde, haben wir zum Beispiel sehr schnell ein Covid-Forschungsprogramm gestartet. Aber auch mit unserer normalen Forschung tragen wir zur Zukunft bei. So haben Forschende am PSI molekulare Vorgänge in Bakterienzellen in Aktion beobachtet, das verspricht Fortschritte bei der Entwicklung neuer Methoden in der Neurobiologie. Und Kollegen in meinem Labor haben eine neue Methode entwickelt, um thermische und magnetische Veränderungen im Inneren von Festkörpern zu verfolgen. Das ist zum Beispiel interessant für Computerfestplatten mit höherer Speicherdichte. In Zukunft kann das auch helfen bei der Entwicklung von Quantencomputern und vielen weiteren Technologien. Der SwissFEL ist eine Art Schweizer Taschenmesser für Licht und so universell und leistungsfähig wie keine andere Anlage weltweit.