Neues Hydrogel kann Risse im menschlichen Gewebe reparieren
Unsere Weichteile können z.B. bei einem Skiunfall, einem Autounfall oder einem Unfall im Haushalt Risse davontragen. Und Chirurginnen haben es schwer, das Gewebe wieder zusammenzubringen, da Nähte oft mehr schaden als nützen. Laut Dominique Pioletti, dem Leiter des Labors für biomechanische Orthopädie (LBO) an der Fakultät für Ingenieurwissenschaft und Technologie der EPFL, führen solche Operationen nicht immer zu optimalen Ergebnissen, da das reparierte Gewebe meist nicht richtig heilt. Das ist zum Beispiel bei Rissen im Knorpel oder in der Hornhaut der Fall.
Forschende auf der ganzen Welt versuchen seit Jahren, einen Klebstoff für Weichgewebe zu entwickeln, der den natürlichen Belastungen im menschlichen Körper standhält. Piolettis Gruppe hat nun eine neuartige Familie von injizierbaren Biomaterialien entwickelt, die sich an verschiedene Formen von Weichgewebe binden können. Ihre Bio-Klebstoffe in Form eines Gels können in einer Vielzahl von Anwendungen zur Behandlung von Verletzungen eingesetzt werden. Ihre Forschungsarbeit wurde gerade in Macromolecular Rapid Communications veröffentlicht.
Klebt wie Leim
Das am LBO hergestellte Hydrogel besteht zu 85 % aus Wasser und hat zwei entscheidende Vorteile: Es kann überall im menschlichen Körper injiziert werden und es weist eine hohe intrinsische Haftung ohne zusätzliche Oberflächenbehandlung auf. «Das Besondere an unserem Hydrogel ist, dass es seine Konsistenz ändert und gleichzeitig eine hohe Adhäsion an Weichgewebe aufweist», sagt Peyman Karami, ein Postdoc in Piolettis Labor, der das Gel im Rahmen seiner Promotion entwickelt hat. «Es wird in flüssiger Form injiziert, härtet aber aus, wenn es in Berührung mit einer Lichtquelle kommt, so dass es am umliegenden Gewebe haften kann.»
Das Hydrogel der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler funktioniert durch ein völlig neues Design, das eine unabhängige Kontrolle über seine mechanischen und adhäsiven Eigenschaften ermöglicht. Das Ergebnis ist ein vielseitiges Hydrogel, das Ärztinnen und Ärzte als Klebstoff für Weichgewebe im gesamten menschlichen Körper verwenden können.
Inspiriert von Muscheln
Um diese vielseitigen Eigenschaften in ihrem Hydrogel zu erhalten, nahmen die Forschenden das Basispolymer und modifizierten es mit den Verbindungen, die eine wichtige Rolle bei der Gewebeadhäsion spielen. Die erste heisst Dopa und wird aus Muscheln gewonnen: «Dopa sorgt dafür, dass Muscheln fest an jeder Art von Oberfläche haften – ob organisch oder nicht», sagt Pioletti. Die zweite ist eine Aminosäure, die unser Körper selbst herstellt.
Das Gel wird direkt ins Gewebe injiziert. © Alain Herzog 2021 EPFL
Begrenzte Lebensdauer
Ein weiterer Vorteil dieses Hydrogels ist, dass es Medikamente oder Zellen transportieren kann, um den Heilungsprozess zu stimulieren, insbesondere bei Gewebe wie Knorpel, das sich nicht von selbst regeneriert. Und da das Hydrogel biologisch abbaubar ist, wird es vom menschlichen Körper wieder aufgenommen, wenn das umliegende Gewebe heilt.
«Unsere In-vitro-Tests haben gezeigt, dass sich das Hydrogel an viele verschiedene Gewebearten bindet, darunter Knorpel, Meniskus, Herz, Leber, Lunge, Niere und Hornhaut», sagt Pioletti, «wir haben eine Art universelles Hydrogel geschaffen.»
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben gerade ein Stipendium von Innosuisse erhalten, um in Zusammenarbeit mit Chirurgen des Universitätsspitals Lausanne (CHUV) mögliche orthopädische Anwendungen zu untersuchen. Sie hoffen, ihr Hydrogel innerhalb der nächsten fünf Jahre auf den Markt bringen zu können.