Schritt in Richtung personalisierte Anästhesie
Die Anästhesie mag eine exakte Wissenschaft sein, aber sie ist noch nicht vollständig personalisiert. Anästhesistinnen nutzen eine Vielzahl von Methoden, um die richtige Dosis für bestimmten Kranke zu berechnen: klinische Studien, medizinische Datenbanken und Labormessungen zum Beispiel. Allerdings reagiert jeder Mensch anders auf Anästhetika, und es gibt vor der Verabreichung keine Möglichkeit, diese Reaktion vorauszusagen.
Dosierung personalisieren
Heutzutage erhalten Patientinnen während ihrer Operation oft zusätzliche Dosen eines Anästhetikums, je nach ihrer Reaktion. Die Aufgabe der Anästhesiefachleute ist es, dafür zu sorgen, dass die Person nicht zu früh aufwacht und keine Erinnerung an den Eingriff hat, aber sie müssen die kleinstmögliche Menge an Medikamenten verwenden, was für den Körper oft sehr belastend sein kann. In der Realität werden die zusätzlichen Dosen verabreicht, ohne zu wissen, wie hoch die tatsächliche Medikamentenkonzentration in der Patientin bereits ist.
Um dieses Problem zu lösen, haben Forschende des Labors für Integrierte Systeme (LSI) der EPFL an der Fakultät für Ingenieurwissenschaft und Technologie in Zusammenarbeit mit dem Universitätsspital Lausanne (CHUV) und der Polytechnischen Universität Turin ein System entwickelt, das die Propofol-Konzentration in der Patientin während der Operation messen und die verabreichte Dosis entsprechend anpassen kann. «Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten seit Jahren an der Entwicklung von Sensoren, die die Blutkonzentration von Substanzen bei narkotisierten Kranken sofort messen, damit Ärztinnen die Dosis individuell anpassen können», sagt Sandro Carrara, Professor an der EPFL-Fakultät für Ingenieurwissenschaft und Technologie. «Propofol ist eine der wichtigsten Substanzen, die in der Anästhesie verwendet werden, aber auch eine der am schwierigsten zu messenden.»
Der Smart Pen zur direkten und kontinuierlichen Klassifizierung von Anästhetika im menschlichen Serum © EPFL
Eine intelligente Spritze
Das Gerät der Forschenden sieht aus wie eine riesige Spritze. In der Nadel befinden sich Sensorelektroden, die die Propofol-Konzentration im Blut eines Patienten messen, während die Elektronik für die Sensoren – entwickelt am LSI – in einer zentralen Steuerbox untergebracht ist. Die Messungen der Sensoren werden mit künstlicher Intelligenz ausgewertet.
Genaue Messungen dank maschinellem Lernen
«Propofol ist so schwer zu messen, weil es dazu neigt, an der Nadelspitze zu kleben und die Ergebnisse zu verfälschen», sagt Carrara. Sein Team probierte verschiedene Methoden aus, um dieses Problem zu lösen, bevor es sich schliesslich für maschinelles Lernen entschied. Thierry Buclin, Professor für Pharmakologie und Leiter der Abteilung für klinische Pharmakologie am CHUV, sagt: «Propofol ist eines der besten Narkosemittel überhaupt, aber die richtige Dosierung kann kompliziert sein. Daher wäre ein einfach zu bedienendes System, das die Propofol-Konzentration im Operationssaal überwachen kann, ein grosser Fortschritt für die Chirurgie und die Intensivmedizin.»
Die LSI-Forschenden haben die Genauigkeit ihres Geräts durch In-vitro-Tests an menschlichen Blutproben bestätigt. Der nächste Schritt wird die Durchführung von Tests in vivo sein. Ihre Ergebnisse wurden veröffentlicht in IEEE Transactions on Biomedical Circuits and Systems.