Ein lebendiges Vierteljahrhundert Waadtländer Architektur
Eine Winzerhütte, ein Umspannwerk, eine Wohnsiedlung mit 250 Wohneinheiten, ein Gymnasium, ein Holzkesselhaus, ein Zeughaus, eine Kirche und ein Gefängnis. Dutzende von Gebäudesanierungen, Umbauten, Renovierungen und Sanierungen – ganz zu schweigen von neuen Plätzen, Strassen, Seeufern, Stegen, Treppen und Aufzügen. Und schliesslich die Erweiterung von drei grossen Universitäten: Universität Lausanne (UNIL), EPFL und Universitätsklinikum Lausanne (CHUV). Das ist kurz und bündig das, was in einem neuen Buch der Architekten Bruno Marchand, emeritierter Professor der EPFL, und Pauline Schroeter, Wissenschaftlerin an der EPFL, behandelt wird. Auf fast 500 Seiten, illustriert mit Schwarz-Weiss- und Farbfotos, präsentieren die Autorinnen die architektonischen Perlen des Kantons Waadt aus einem Vierteljahrhundert. Wir haben uns mit ihnen für ein Interview zusammengesetzt.
Warum haben Sie gerade diese Zeitspanne gewählt?
BM: Unser Buch ist eine Fortsetzung eines früheren Buches, das wir über die Jahre 1920-1975 geschrieben haben. Die Mitte der 70er Jahre war eine Zeit grosser Umwälzungen, vor allem im Zuge der Ölkrise und des Endes des Modernismus in der Welt der Architektur. Das Jahr 2000 war vor allem ein symbolisches, aber dennoch bedeutungsvolles Jahr, da es das Ende der Auswirkungen des Immobilienmarktcrashs Mitte der 1990er Jahre markierte.
Was hat die Zeit, die Sie in Ihrem neuen Buch behandeln, am meisten geprägt?
BM: Wir haben im Grunde drei verschiedene Phasen gesehen, die den 1970er, 1980er und 1990er Jahren entsprechen. Die erste war eine echte Krisenzeit, aber sehr interessant, weil sie das Aufkommen mehrerer neuer gesellschaftlicher Themen wie Umweltbewusstsein, Denkmalschutz und die Sorge um Energieeffizienz signalisierte. Die 80er Jahre wurden von Projekten zum Bau grosser institutioneller Gebäude und Einrichtungen, insbesondere Schulen, dominiert. Diese Periode kann als postmodern charakterisiert werden, mit einem erneuten Fokus auf Geschichte und Monumentalismus und einer Rückkehr zu einer gewissen Unabhängigkeit – die Architektur schüttelte den Einfluss anderer Disziplinen ab. Es war auch eine Zeit, in der es eine Vielzahl von öffentlichen Ausschreibungen gab. In den 90er Jahren gingen die Aufträge aufgrund des Einbruchs auf dem Immobilienmarkt zurück. Die Ausgaben wurden zurückgefahren, und wir begannen, einfacher zu arbeiten, oft mit nur einem einzigen Material. Gleichzeitig begann die Kunst in den Architekturprojekten eine wichtigere Rolle zu spielen.
Nach welchen Kriterien haben Sie die Projekte für Ihr Buch ausgewählt?
PS: Wie bei unserem vorherigen Buch haben wir lokale, nationale und ausländische Architekturzeitschriften durchforstet, was uns einen ziemlich umfangreichen Materialpool bescherte. Ausserdem haben wir verschiedene Archive, Architektenmonografien und die Websites von Architekturbüros konsultiert, da viele von ihnen auch heute noch aktiv sind. Dann wählten wir jene Projekte aus, die für eine bestimmte Bewegung repräsentativ waren, sei es aufgrund ihres architektonischen Stils, ihrer Vision oder der Themen, die sie reflektierten.
Was unterscheidet die Waadtländer Architektur von derjenigen in der übrigen Westschweiz? Oder sogar von der Schweiz als Ganzes?
BM: Zwischen 1975 und 2000 wurden mehrere Bücher und Artikel über die Besonderheiten der regionalen Architektur geschrieben. Aber auch wenn man deutliche Unterschiede zwischen der Waadtländer Architektur und der von Genf feststellen kann, neigt man im Allgemeinen dazu, die gesamte Westschweiz mit der Deutschschweiz zu vergleichen. Erstere ist von Frankreich beeinflusst und letztere von Deutschland. Aber wir sollten nicht zu schematisch sein – seit 1973 werden die Gastprofessorinnen und -professoren an der Architekturschule nur noch als national oder international bezeichnet. Die Studierenden sind nun ständig internationalen Trends ausgesetzt, was die eher traditionellen lokalen Einflüsse etwas abschwächt. Was die postmoderne Architektur in der Schweiz anbelangt, so besteht kein Zweifel daran, dass ihre Wiege in der Romandie stand. Aber heute könnte man sagen, dass es einen architektonischen Stil in der – aber nicht der – Westschweiz gibt.
Haben Sie festgestellt, dass die Architekten bestimmte Materialien bevorzugt verwenden?
BM: Ja. Erstaunlicherweise haben wir in den 1980er Jahren eine überwältigende Verwendung von Kalksandstein festgestellt. Dieses Material tauchte in jedem Bautyp auf und überwand die Vorstellung, dass jedes Material mit einer bestimmten Verwendung verbunden war. Selten in der Geschichte der Architektur habe ich ein Material gesehen, das zu einem bestimmten Zeitpunkt so beliebt war. Obwohl Kalksandstein viele Vorteile besitzt, denke ich, dass es eine vorübergehende Modeerscheinung war. Holz und Beton erlebten in den 90er Jahren ein Comeback.
Was waren die wichtigsten Trends im Bereich Renovierung und Restaurierung?
BM: Ein erfolgreiches Renovierungsprojekt verbindet das Alte mit dem Neuen. Es respektiert das architektonische Erbe eines Gebäudes und lässt gleichzeitig Raum für eine zeitgenössische, kreative Aussage.
Ihr Buch widmet ein Kapitel drei grossen Universitätsgeländen, darunter auch dem der EPFL. Was war an der Erweiterung der EPFL besonders bemerkenswert?
PS: Unser Buch beginnt mit der Fertigstellung der ersten Planungsphase des Campus. Der Entwurf für diese Phase hatte eine horizontale, Ost-West-Ausrichtung und wurde als nach innen gewandt, grau und etwas streng in seiner Architektur kritisiert. Der zweite Bauabschnitt wich davon ab und stellte die Gebäude in einem 45-Grad-Winkel auf, um eine breitere Nutzungspalette zu ermöglichen. Es folgte der Bau des Forschungszentrums für Plasmaphysik (aus Kalksandstein) im südlichen Bereich des Campus – der Grundstein für den späteren Technologiepark. Die dritte Phase, in den 90er Jahren, fand im nördlichen Bereich des Campus statt und versuchte, die früheren Phasen zu vereinheitlichen, indem sie die gleichen Gebäudeausrichtungen wie die früheren Phasen übernahm; einige der Gebäude verliefen in Ost-West-Richtung und andere in Nord-Süd-Richtung entlang der diagonalen Achse, mit dem Platz vor dem SG-Gebäude als Brennpunkt.
Eine letzte Frage: Sie äussern sich besorgt über den Mangel an kulturellem Dialog in der heutigen Architektur und über die Scheu der Architektinnen vor öffentlichen Diskussionen. Befindet sich die Architektur in einem Moment der Verunsicherung?
BM: Jede Zeit ist ein bisschen anders. In den letzten zwei Jahrzehnten waren die Architekten mit dem Bauen beschäftigt und hatten wenig Zeit, über den Beruf im Allgemeinen nachzudenken oder sich politisch zu engagieren. Unser Beruf ist auch durch die technischen Zwänge immer komplizierter geworden – und das veranlasst Architektinnen und Architekten manchmal, mehr nach innen zu denken.