Maschinelles Lernen verbessert Prognostik nach Schlaganfall

Ein internationales Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlen unter Leitung der EPFL hat ein System entwickelt, das Informationen aus dem Konnektom des Gehirns – der «Verdrahtung» zwischen Neuronen – und maschinelles Lernen kombiniert, um die Entwicklung von Schlaganfallopfern zu beurteilen und vorherzusagen.
Dr. Philip Koch und Professor Friedhelm Hummel bei der Durchführung eines MRI. Bildrechte: F. Hummel (EPFL)

Wenn der Blutfluss zum Gehirn irgendwie reduziert oder eingeschränkt ist, kann eine Person das erleiden, was wir als Schlaganfall (im medizinischen Fachjargon «ischämischer Schlaganfall») kennen. Der Schlaganfall ist eine jener Erkrankungen, die ziemlich häufig vorzukommen scheinen. Das ist kein Trugschluss: Allein in Europa gibt es jedes Jahr über 1,5 Millionen neue Fälle.

Manche Schlaganfälle können tödlich enden, und wenn nicht, führen sie oft zu einer schweren Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit des Opfers. In der Tat ist der Schlaganfall heute eine der Hauptursachen für langfristige Behinderungen. Die Genesung kann ein langer und mühsamer Weg sein. Auch in Europa erreichen weniger als 15 % der Patienten eine vollständige Genesung, so dass 3,7 Millionen Patientinnen und Patienten mit bleibenden Beeinträchtigungen zurückbleiben. Es ist klar, dass dies ein medizinisches Problem ist, das dringend angegangen werden muss.

Aber die Rehabilitation ist kompliziert zu lösen. Schlaganfälle können in verschiedenen Teilen des Gehirns auftreten und unterschiedliche Gehirnsysteme betreffen, und Patientinnen, die sich einer Rehabilitation unterziehen, zeigen eine «Heterogenität im Ergebnis», was die medizinische Art ist, zu sagen, dass die Erholung zwischen einzelnen Schlaganfallopfern sehr unterschiedlich sein kann.

«Dieses Werkzeug kann die Vorhersage individueller Genesungsverläufe frühzeitig unterstützen und wird einen wichtigen Einfluss auf das klinische Management, die translationale Forschung und die Behandlungswahl haben.»      Friedhelm Hummel

«Der Schlüssel ist, die optimale neuro-rehabilitative Strategie zu finden, um den individuellen Behandlungserfolg zu maximieren», sagt Professor Friedhelm Hummel, Neurowissenschaftler und Direktor des Defitech-Lehrstuhls für Klinisches Neuroengineering an der EPFL-Fakultät für Life Sciences. «Wenn wir diese Herausforderungen im klinischen Alltag angehen wollen, müssen wir zunächst unsere Fähigkeit verbessern, die individuellen Verläufe der Genesung vorherzusagen», ergänzt Dr. Philipp J. Koch, Erstautor der Studie.

Hummel hat nun mit einem internationalen Team von Wissenschaftlerinnen einen neuen Ansatz für die Ergebnisvorhersage entwickelt, der die Schlaganfallbehandlung deutlich verbessern kann. Die in der Fachzeitschrift Brain veröffentlichte Studie demonstriert eine Vorhersagemethode, die auf zwei leistungsstarken, hochmodernen Werkzeugen basiert: Konnektome und maschinelles Lernen.

Zum Team gehörten Froschende der Sungkyunkwan University School of Medicine (Professor Y.-H. Kim), der University Medical School of Geneva (Professor A. Guggisberg), des Inserm Paris (Professor C. Rosso), der Santa Lucia Foundation IRCCS, Rom (Professor G. Koch), und der EPFL (Professor Thiran).

Was ist ein Konnektom? Einfach ausgedrückt ist es eine Karte der Verdrahtung eines Gehirns. Der Begriff selbst wurde 2005 unabhängig voneinander von zwei Froschenden (einer davon vom Universitätsspital Lausanne) geprägt, um den «Bauplan» zu beschreiben, wie die Neuronen eines Gehirns miteinander verbunden sind, was an das Konzept des Genoms erinnert – daher «Connectome».

MRI-basierte Techniken werden eingesetzt, um die individuelle strukturelle Verdrahtung des Gehirns (links) und das zugrunde liegende Konnektom (Mitte) zu bestimmen. Merkmale aus diesen komplexen Informationen werden verwendet, um Patientinnen mit hoher Präzision in die Gruppe zu klassifizieren, die eine natürliche Genesung zeigt oder die keine natürliche Genesung zeigt (rechts). Bildrechte: F. Hummel (EPFL) © 2021 EPFL

Konnektome werden durch die Analyse mehrerer Bilder aus der Magnetresonanztomographie erzeugt und rekonstruieren die strukturelle oder funktionelle Verdrahtung des Gehirns nicht-invasiv und in vivo. Heute sind Konnektome unverzichtbare Werkzeuge für Neurowissenschaftlerinnen, insbesondere wenn sie strukturelle oder dynamische Hirndaten interpretieren und mit Funktionen, Funktionsdefiziten oder Genesungsprozessen in Verbindung bringen wollen. Kurz gesagt, das Konnektom zeigt, wie das Gehirn verdrahtet ist, um den Körper und seine Funktionen zu steuern, was sie wichtig macht, um den besten Genesungsansatz für ein Schlaganfallopfer zu erarbeiten.

In der Studie analysierte Hummels Gruppe die Konnektome von 92 Patientinnen und Patienten zwei Wochen nach dem Schlaganfall und verfolgte die Veränderungen der Konnektome bis zu drei Monate danach, während sie die motorischen Beeinträchtigungen mit einer standardisierten Skala bewerteten. Auf diese Weise konnten sie die Konnektomveränderungen in den individuellen Gehirnen der Patienten überwachen, während sie sich erholten.

Die Forschenden gaben die Konnektom-Informationen in eine «Support-Vektor-Maschine» (SVM) ein, eine Art Machine-Learning-Modell, das Beispiele verwendet, um eine Eingabe auf eine Ausgabe abzubilden. SVMs sind besonders nützlich für die Klassifizierung, um Dinge zu unterscheiden und entsprechend zu kategorisieren, z. B. Spam und Nicht-Spam-E-Mails.

In dieser Studie trainierten die Forschenden die SVMs, um zwischen Patientinnen mit natürlicher Genesung und solchen ohne natürliche Genesung zu unterscheiden, basierend auf ihren strukturellen Konnektomen des gesamten Gehirns. Die SVMs definierten dann das zugrundeliegende Gehirn-Netzwerk-Muster jedes Patienten und jeder Patientin und konzentrierten sich dabei auf diejenigen, die stark beeinträchtigt waren, um Vorhersagen über ihr Genesungspotenzial zu treffen, wobei die Genauigkeit jeder Vorhersage intern und extern mit unabhängigen Datensätzen kreuzvalidiert wurde.

Das Ergebnis ist ein hochmodernes Werkzeug der personalisierten Medizin: ein Machine-Learning-System, das neuronale Netzwerkmuster identifizieren kann, um hochpräzise Vorhersagen über das Ergebnis der Genesung von Schlaganfallpatienten zu treffen. «Dieses Werkzeug kann die Vorhersage individueller Genesungsverläufe frühzeitig unterstützen und wird einen wichtigen Einfluss auf das klinische Management, die translationale Forschung und die Behandlungswahl haben», sagt Hummel.

Weitere Informationen

Weitere Mitwirkende

  • Clinique Romande de Réadaptation (Schweiz)
  • Universität zu Lübeck (Deutschland)
  • Medizinische Fakultät der Universität Genf
  • EPFL-Labor für Signalverarbeitung
  • Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV)
  • Universität Lausanne (UniL)
  • Universität Medizinische Fakultät (Republik Korea)
  • Stiftung Santa Lucia IRCCS (Italien)
  • Universitätskliniken Genf
  • Schlaganfallstation, Krankenhaus Pitié-Salpêtrière (Frankreich)
  • Sungkyunkwan Universität (Republik Korea)

Fördermittel

  • ETH-Bereich - Strategischer Fokusbereich Personalisierte Gesundheit und zugehörige Technologien (PHRT)
  • Defitech-Stiftung
  • Wyss-Stiftung
  • Bertarelli-Stiftung
  • EPFL/UniL/UniGe Zentrum für Biomedizinische Bildgebung (CIBM)
  • Leenaards-Stiftung
  • Louis-Jeantet-Stiftung
  • Nationale Forschungsstiftung von Korea (NRF)

Referenzen

Philipp J. Koch, Chang-Hyun Park, Gabriel Girard, Elena Beanato, Philip Egger, Giorgia Giulia Evangelista, Jungsoo Lee, Maximilian J. Wessel, Takuya Morishita, Giacomo Koch, Jean-Philippe Thiran, Adrian Guggisberg, Charlotte Rosso, Yun-Hee Kim, Friedhelm C. Hummel, The structural connectome and motor recovery after stroke: predicting natural recovery, Brain 08 Juli 2021