Wie wir uns an den Klimawandel anpassen können
Heute stellte der Weltklimarat (IPCC) den zweiten Teil des sechsten Sachstandsberichts (kurz: AR6) zum Stand der Klimaforschung vor.1 Während der erste Teil vom letzten August die physikalischen Grundlagen, Ursachen und das Ausmass des Klimawandels beschreibt (siehe Blogbeitrag von Sonja Seneviratne), befasst sich der zweite Teil mit den Konsequenzen der Klimaerwärmung für die Umwelt und die Menschheit.
Ich habe als einer der Leitautoren der Arbeitsgruppe II am neuen Klimabericht mitgearbeitet. Er ist das Resultat eines eindrücklichen Prozesses: Mehrere hundert Forschende analysierten tausende wissenschaftliche Publikationen zu den Folgen des Klimawandels und zur Anpassung an diesen und fassten den aktuellen Wissensstand – vorwiegend per Videokonferenzen – im vorliegenden Bericht zusammen. Heute wurde die Essenz der Erkenntnisse der Politik und Gesellschaft präsentiert.2
Die Botschaft ist eindeutig: Der Klimawandel bedroht das menschliche Wohlergehen und die Gesundheit des Planeten. Anpassungen sind dringend notwendig. Und sie sind möglich. Die folgenden Befunde erachte ich als besonders wichtig.
Klimafolgen sind allgegenwärtig
Der Klimawandel wirkt sich bereits heute weltweit aus. Die Erde hat sich im globalen Durschnitt seit 1880 um rund 1.1 Grad Celsius erwärmt. Die Folgen sind in praktisch allen Umwelt- und Lebensbereichen klar nachweisbar und teils gravierend. Betroffen sind alle geographischen Zonen von den Tropen bis zu den Polen, sensible Ökosysteme wie Korallenriffe, die Wälder an Land sowie die Seegraswiesen und Algenwälder der Ozeane, aber auch Sektoren wie die Wasser- und Energiewirtschaft, die Landwirtschaft sowie die menschliche Gesundheit und Ernährung.
Selbst wenn es der Menschheit gelingt, den Treibhausgasausstoss bis 2050 auf netto null zu senken und den Temperaturanstieg auf 1.5 Grad zu begrenzen, sind weitreichende Risiken und Schäden für Umweltsysteme und Menschen vielerorts nicht mehr vermeidbar. Am grössten sind die Klimarisiken für Natur und Menschen in den Regionen mit dem höchsten Temperaturanstieg, an den Küsten, entlang von Flüssen, und in den Gebirgsregionen.
Der neue Bericht begnügt sich jedoch nicht mit der Auflistung von Risiken und Schäden. Vielmehr konzentriert er sich – stärker als sein Vorgänger und quer durch alle 18 Kapitel – auf Lösungen im Sinne der Anpassung an den Klimawandel.
Der Anpassungsgraben wächst
Erfreulich ist, dass in jüngerer Zeit viele Anpassungsaktivitäten in Gang gekommen sind, insbesondere in den Bereichen Hochwasserschutz, Bewässerung und Wasserversorgung. Allerdings sind solche Schutz- und Anpassungsmassnahmen gegen den Klimawandel geographisch sehr ungleich verteilt. In vielen Staaten und Regionen stossen Anpassungsprozesse bereits heute teilweise an ihre Grenzen.
Es tut sich zunehmend ein Nord-Süd-Graben auf: In armen und schlecht regierten Ländern des Globalen Südens wächst der sogenannte «Adaptation Gap», die Kluft zwischen wachsenden Klimarisiken und gesellschaftlichen Massnahmen zu deren Begrenzung, deutlich schneller.
In den globalen Krisenherden gelten 3,3 Milliarden Menschen als besonders durch den Klimawandel gefährdet. Ihre Verletzlichkeit erhöht sich zusehends durch überlappende Probleme wie Armut, schwache bzw. instabile oder korrupte Regierungen, fehlendes Vertrauen in Behörden sowie eingeschränkter Zugang zu Energie, Wasser, Sanitäranlagen und Gesundheitsdiensten, insbesondere in informellen Siedlungen. In solchen Gebieten war die Zahl der Todesfälle durch Überschwemmungen, Dürren und Stürme in den letzten zehn Jahren bis zu 15-mal höher als in reicheren Ländern, was die Klima-Ungerechtigkeit widerspiegelt.
Unsere stärksten Waffen
Wie also kann sich die Menschheit erfolgreich an den Klimawandel anpassen? Der Bericht liefert klare Antworten:
- Die Natur ist eine unserer wichtigsten Verbündeten. Stärkerer Naturschutz kann bei der Anpassung an den unvermeidbaren Teil des Klimawandels enorm helfen. Ein gesunder Planet ist essenziell: Er stellt uns Nahrung und Wasser bereit, sichert den Lebensunterhalt vieler Menschen, und hilft, das Katastrophenrisiko zu verringern.
- Als besonders bedeutend erachte ich zweitens die Förderung einer klimaresilienten Entwicklung (engl. climate resilient development). Der Begriff verknüpft Anpassung und Vermeidung des Klimawandels mit den nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) der UNO. Widerstandfähigkeit bedingt dann neben Infrastruktur wie Hochwasserschutz zum Beispiel auch den klimatauglichen Umbau von Landwirtschafts-, Ernährungs- und Gesundheitssystemen.
- Schliesslich «Good governance»: Gut geführte Regierungen, die auch in akuten Krisen funktionieren, werden zur zentralen Ressource. Good governance hilft, Armut, Korruption und soziale Ungleichheit zu bekämpfen – und bildet eine grundlegende Voraussetzung, um den Adaptation Gap zu überwinden.
Es braucht einen raschen gesellschaftlichen Wandel
Als Politikwissenschaftler kann ich nicht oft genug betonen: Klimaanpassung ist mehr als nur neue Infrastruktur. Erfolgreiche Anpassung erfordert zwar Geld, Stahl und Beton – doch Technologie allein wird es nicht richten. Es handelt sich vielmehr um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der politische und soziale Institutionen und unser aller Engagement eine zentrale Rolle spielen.
Für alle Gesellschaften, insbesondere auch für die stark vom Klimawandel betroffene Schweiz, ist zudem der Faktor Zeit enorm wichtig. Viele Anpassungsprozesse erfordern langjährige Investitionen und Strukturveränderungen. Je länger die Emissionen ungebremst steigen, desto kleiner werden unser Handlungsspielraum und das Zeitfenster, um unvermeidbare Klimarisiken zu begrenzen.