Gründächer und Teiche vernetzt denken und gestalten
Tiere, Pflanzen und andere Lebewesen finden immer weniger intakte Lebensräume – auch in der Schweiz. Zwar gibt es Schutzgebiete, die übers ganze Land verteilt sind. «Langfristig werden sie aber wahrscheinlich nicht reichen, um die Biodiversität zu erhalten», sagt Giulia Donati, Postdoktorandin am Wasserforschungsinstitut Eawag. Deshalb werde es immer wichtiger, auch Naturflächen ausserhalb von Schutzgebieten zu erhalten oder aufzuwerten – und sie so miteinander zu vernetzen, dass der Austausch zwischen den einzelnen Beständen gesichert ist.
In einer Studie, die kürzlich in der Fachzeitschrift «Conservation Letters» veröffentlicht wurde, untersuchte ein Forschungsteam um Donati, wie der Schutz solcher ökologischer Netzwerke mit der Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure wie Behörden, Naturschutzorganisationen und Landnutzern zusammenhängt. «Ein Netzwerk von Lebensräumen ist stets verbunden mit einem Netzwerk von Menschen», sagt Donati. Die Lebensraum-Qualität eines Waldrands etwa hängt von diversen Akteuren ab: Wie bewirtschaftet das Forstamt den Wald? Was sät der Bauer oder die Bäuerin auf der angrenzenden Landwirtschaftsfläche? Und wie verhalten sich Spaziergängerinnen und Spaziergänger?
Für ihre Untersuchung konzentrierten sich die Forschenden auf Lebensräume an der Schnittstelle zwischen Wasser und Land, sogenannte «blau-grüne Systeme». Dazu zählen aquatische Ökosysteme wie Flüsse, See oder Tümpel (blau) und Landökosysteme wie Wälder, Wiesen, Parks oder Gärten (grün). Das Projekt war Teil der Forschungsinitiative «Blau-grüne Biodiversität» von Eawag und der Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL.
Wer arbeitet mit wem?
Donati und ihr Team analysierten solche Lebensräume in drei Gebieten in den Kantonen Aargau und Zürich – in den Regionen Aarau, Baden-Brugg und Greifensee. Als Beispiel einer Organismen-Gruppe, die auf «blau-grüne» Gebiete angewiesen ist, wählten sie Amphibien, also Frösche, Kröten und Molche. Sie modellierten und analysierten, wo und in welchen Landschaftselementen Amphibien leben können und wie gut diese Gebiete miteinander verknüpft sind.
Diese ökologischen Netzwerkmodelle ergänzten sie mit einer Befragung von rund 180 Organisationen, die in den drei Regionen tätig sind – zum Beispiel in der Stadtplanung, im Umweltschutz, in der Forst- oder Landwirtschaft, aber auch Jagdgesellschaften, Schrebergarten-Vereine oder Kiesgrubenbetreiber. Sie alle wurden gefragt, ob und wo sie in die Bewirtschaftung dieser blau-grünen Infrastruktur involviert waren und mit welchen anderen Organisationen sie dabei zusammenarbeiteten.
Es zeigte sich ein deutlicher Unterschied zwischen der gemeinsamen Bewirtschaftung von zusammenhängenden blau-grünen Gebieten im ländlichen und im städtischen Raum: Bei ländlichen, eher natürlichen Elementen herrschte eine relativ gute Abstimmung zwischen Naturschutzorganisationen, Behörden und Landnutzern. In urbanen Räumen hingegen fehlte es oft an klarer Zuständigkeit und Kooperation. Eine mögliche Erklärung für diese Diskrepanz ist, dass für «blau-grüne» Naturschutzprojekte ausserhalb des Siedlungsgebietes viel langjährigere Erfahrungen vorhanden sind. Behörden, Naturschutzorganisationen, Land- und Forstwirtschaft sind sich gewohnt, für die Aufwertung etwa eines Teiches am Waldrand oder eines Bachlaufs mitsamt angrenzendem Wiesland zusammenzuarbeiten.
Gärten als Trittstein-Flächen
Der Naturschutz in städtischen Räumen hingegen sei noch immer ein relativ junges Feld, sagt Donati. Oft werde die ökologische Funktion von urbanen Naturelementen noch zu wenig berücksichtigt. In Städten verlaufen viele Wasserläufe unterirdisch oder sind kanalisiert. Stadtparks und private Gärten werden vielfach bloss als Erholungsräume betrachtet und nicht gezielt in Naturschutzstrategien eingebunden. Dabei könnten sie durch eine naturnahere und strategischere Gestaltung wichtige Trittsteine für viele Arten, etwa Amphibien, werden.
Kommt hinzu, dass es im Siedlungsraum besonders viele unterschiedliche Interessensgruppen gibt. In Städten sind unterschiedliche Akteure für einzelne Umweltaspekte zuständig – das Bauamt für Grünanlagen, das Wasseramt für Gewässer, Privatpersonen für ihre Gärten oder Firmen für ihre Dachbegrünungen. «Das kann zu einer Art Silo-Denken führen, das aquatische und terrestrische Systeme fragmentiert und eine wirksame Umweltpolitik erschwert», sagt Donati. Im schlimmsten Fall bleiben Massnahmen zum Schutz von Naturflächen unkoordiniert und wertvolle Flächen gehen verloren.
Räume für den Austausch
Die Forschenden fordern daher koordiniertere Ansätze für den Naturschutz im Siedlungsgebiet. Ein Patentrezept habe sie nicht, sagt Donati. Aber es sei wichtig, bestehende Barrieren zwischen verschiedenen Akteuren zu überwinden. «Wir brauchen Raum für einen Austausch, um die effektive Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltungen, Naturschutzorganisationen, Bauämtern, Verkehrsbehörden und der Zivilgesellschaft zu verbessern.» Das zeigte sich auch in Workshops, zu welchen die Forschenden die befragten Organisationen einluden. Dort stiess das Ansinnen einer verbesserten Koordination auf grosse Unterstützung.
Es kristallisierte sich aber auch heraus, dass Hürden bezüglich Finanzierung, Ausbildung und Fachwissen bestehen. Gerade deshalb ist es laut Donati auch wichtig, Naturschutzwissen für alle Anspruchsgruppen zugänglich zu machen. Sie verweist auf das Synthesezentrum Biodiversität, ein vom ETH-Rat für drei Jahre finanziertes Projekt. Wissenschaftlerinnen und Praktiker arbeiten dabei zusammen. Sie bündeln Erkenntnisse und veröffentlichen sie als Merkblätter oder Empfehlungen, um Biodiversitäts-Schutzprojekte vorwärts zu bringen.
Die Resultate der Studie bedeuten laut der Forscherin nicht, dass eine Zusammenarbeit alleine den Erfolg von Biodiversitätsmassnahmen garantiert. Nicht immer gelingt es, die verschiedenen Interessen unter einen Hut zu bringen. «Das Verständnis der unterschiedlichen Bedürfnisse, Herausforderungen und Perspektiven ist jedoch entscheidend, um eine gemeinsame Basis zu finden und gemeinsam eine nachhaltigere Zukunft für Mensch und Natur zu schaffen. Zusammenarbeit ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Projekte überhaupt erfolgreich sein können», sagt Donati. Denn ohne offenen Dialog und Zusammenarbeit bleibt ein wirksamer Schutz der biologischen Vielfalt unerreichbar.
Forschungsinitiative Blue-Green Biodiversity
Das Forschungsprojekt «BlueGreenNet: Sozial-Ökologische Netzwerke zur Förderung der Biodiversität in vom Menschen geprägten Landschaften» leistet einen Beitrag zur Forschungsinitiative Blue-Green Biodiversity – einer Eawag-WSL-Zusammenarbeit, die sich mit der Biodiversität an der Schnittstelle von aquatischen und terrestrischen Ökosystemen befasst. Die Initiative wird vom ETH-Rat finanziert.