Alte Techniken sollen Beton nachhaltiger machen

Ein Expertenteam der EPFL, der ETH Zürich und eines Genfer Architekturbüros hat einen neuartigen, unbewehrten Beton aus Steinabfällen entwickelt. Ihre Methode, die den Einsatz von kohlenstoffintensiven Bindemitteln auf Zementbasis reduziert, basiert auf alten Techniken, die in historischen Archiven entdeckt wurden.
Salvatore Aprea, zwischen Archiv und Projektion von Wandprototypen. © 2023 EPFL / A. Herzog

Einige Mauern könnten ohne weiteres ohne Stahlbeton gebaut werden, ein Material, das einen grossen Teil des CO2-Fussabdrucks der Bauindustrie ausmacht. Diese Mauern könnten sogar aus unbearbeiteten Steinbruchabfällen hergestellt werden. Um herauszufinden, wie dies möglich sein könnte, hat das Forschungsteam – bestehend aus Fachleuten der EPFL-Forschungsgruppe Archives of Modern Construction (Acm), des ETH-Lehrstuhls für nachhaltiges Bauen und des Archiplein – in historischen Archiven nach vergessenen Bauweisen gesucht. Im Rahmen des Circular Building Industry (CBI) Booster, einem Programm zur Förderung innovativer, auf Kreislaufprinzipien basierender Initiativen in der Bauindustrie, testeten sie verschiedene Varianten mit unterschiedlichen Verfahren und Zementmischungen.

Ende Oktober baute das Team in Lucery-Villars im Kanton Waadt sechs tragende Wände aus wiederverwerteten Steinbruchabfällen und Feldsteinen. Sie teilten ihre Prototypen in zwei Gruppen auf, um zwei verschiedene Bauweisen und drei Arten von Mörtelbindemitteln zu testen. Bei der ersten Methode wurde der Mörtel in die Schalung eingebracht, bevor die Steine hinzugefügt wurden, während bei der zweiten Methode die Reihenfolge umgekehrt war: Die Steine wurden zuerst verlegt und dann mit Mörtel überzogen. Von den drei vom Team getesteten Bindemitteln enthielt eines eine geringe Menge Zement, ein anderes war ein Gemisch auf Kalkbasis, und das dritte wurde aus unfruchtbarem Boden hergestellt. Angesichts der schieren Grösse vieler Steine, die für die Mauern verwendet wurden, nannten die Experten ihre Methode «Zyklopenmauer» in Anlehnung an eine Art von Mauerwerk, das in der frühen Architektur zu finden ist.

Prototyp-Mauer aus Ton, Kalk und Zement. © 2023 EPFL / Salvatore Aprea

Upcycelte Abfallstoffe

Gegenwärtig werden Steinbruchabfälle vor ihrer Wiederverwendung aufbereitet, was grosse Mengen an Energie verbraucht. Und die Herstellung von Zement – dem Bindemittel für Beton – ist ein noch energieintensiverer Prozess: Kalkstein wird in permanent betriebenen Drehrohröfen auf 1450 °C erhitzt. Hinzu kommt ein weiteres Problem: Beton wird aus inerten Materialien hergestellt, und die verfügbaren Optionen sind begrenzt: «Jahrhundertelang versuchten die Bauherren, die Kosten zu senken, indem sie den Zementverbrauch begrenzten und recycelte Abfallstoffe in den Beton einbrachten», sagt Salvatore Aprea, Leiter der Acm-Forschungsgruppe. Für Marlène Leroux, Partnerin bei Archiplein, ist der aktuelle Stand der Dinge geradezu verblüffend: «Wir scheinen vergessen zu haben, wie man einfache tragende Wände aus Steinabfällen baut, mit einem minimalen CO2-Fussabdruck und ohne Zusatzstoffe, Chemikalien oder Bewehrungseisen.»

Tabelle des französischen Ingenieurs Louis-Joseph Vicat (1786-1861) auf der Grundlage von Kalkmischungstests, veröffentlicht in Recherches expérimentales sur les chaux de construction, les bétons et les mortiers ordinaires, Paris, Goujon, 1818. © EPFL / Acm

Von der Römerzeit bis zum 19. Jahrhundert

Um sich für das Projekt zu inspirieren, durchforstete die Acm-Gruppe technische Archive von der Römerzeit bis zum 18. und 19. Jahrhundert – vor allem in Frankreich und Deutschland – auf der Suche nach alten Beton- und Zementrezepturen. Sie suchten insbesondere nach Methoden, die es ihnen ermöglichten, sowohl unbearbeitete Steinabfälle als auch Mörtel mit wenig oder gar keinem Zement zu verwenden. «Wir fanden detaillierte Versuchsergebnisse, in denen Ingenieurfachleute die Festigkeit von Mörteln mit unterschiedlichen Kalkkonzentrationen getestet hatten», sagt Aprea. «In den meisten Fällen wurden diese Mörtel aus Materialien hergestellt, die vor Ort oder in der Nähe gewonnen wurden.» Die Fachleute untersuchten auch frühe Methoden der Betonanwendung. Prof. Guillaume Habert, Inhaber des Lehrstuhls an der ETH Zürich, arbeitete mit Leroux und zwei ihrer Kollegen von Archiplein – dem Architekten Francis Jacquier und dem Ingenieur Olivier Dahenne – zusammen, um Computermodelle zu entwickeln, mit denen neue Mörtelrezepturen gefunden werden können, die von der Vergangenheit inspiriert sind, aber den modernen Anforderungen entsprechen.

Nach dieser ersten Forschungsarbeit wird der nächste Schritt des Teams darin bestehen, standardisierte, mechanisierte und kohlenstoffarme Wandbauverfahren zu entwickeln. Sie planen, Prototypen zu bauen, Festigkeitstests durchzuführen und Vergleichstabellen zu erstellen, ähnlich wie Ingenieurfachleute und Forschende der Vergangenheit wie Louis-Joseph Vicat, Jean Henri Hassenfratz und John Smeaton, deren Arbeit sie für dieses Projekt im Detail untersucht haben.

Weitere Informationen

Links

Archiv für modernes Bauen der EPFL (auf Französisch)

Finanzierung

Förderung der Kreislaufbauindustrie (CBI)

Referenzen

Projet Circular Buildling Industry Booster: Marlène Leroux (Mitfinanziererin), Guillaume Habert (ausserordentlicher Professor am Lehrstuhl für nachhaltiges Bauen, ETH Zürich), Francis Jacquier (Architekt), Salvatore Aprea (Direktor, ACM Group), Olivier Dahenne (Ingenieur), «Le Béton Cyclopéen ou comment s'inscrire dans le continuum des savoir-faire constructifs à l'aune des problématiques climatiques et environnementales», Oktober 2023.