Biologische Gewässerbeurteilung in Zeiten des Klimawandels
Wie gesund sind unsere Gewässer? Eine Frage, die gar nicht so einfach zu beantworten ist. Einen Hinweis geben wirbellose Kleinlebewesen am Gewässergrund wie Insektenlarven, Kleinkrebse, Schnecken, Muscheln und Würmer. Denn viele Arten gedeihen nur, wenn das Gewässer, in dem sie leben, ihren oft hohen Ansprüchen genügt: Es muss sauber sein und eine Vielfalt an unterschiedlichen Lebensräumen bieten. Die Wasserlebewesen dienen daher als Bioindikatoren für die Gewässerqualität und stehen schweizweit unter genauer Beobachtung.
Untersucht wird, ob die Lebensgemeinschaft naturnah und standortgerecht ist und ihre Vielfalt derjenigen von nur schwach belasteten Gewässern entspricht. Ist das nicht der Fall, sind gemäss Gewässerschutzgesetz Massnahmen angezeigt, um die Gewässerqualität zu verbessern. Eine Möglichkeit ist etwa die Revitalisierung von Flussabschnitten.
Indizes helfen, Gewässerqualität zu beurteilen
In der Schweiz überwachen die kantonalen Gewässerschutzfachstellen die Gewässerqualität im Rahmen von kantonalen und nationalen Monitoringprogrammen, zum Beispiel NAWA (Nationale Beobachtung Oberflächengewässerqualität). Das von der Eawag mitentwickelte Modul-Stufen-Konzept gibt dabei genau vor, wie die kleinen Wassertiere erfasst werden müssen, und stellt damit eine einheitliche Erhebung schweizweit sicher. Aus den so erhobenen Daten werden verschiedene Indizes berechnet. Der Index EPT-Artenreichtum ist zum Beispiel ein Mass für die Artenvielfalt der Eintags-, Stein- und Köcherfliegen. Der Index IBCH beurteilt den generellen Zustand des untersuchten Gewässerabschnitts. Der Index SPEARpesticides misst spezifischer die chemische Belastung des Wassers. Die Indizes sind die Basis, um gegebenenfalls Gewässerschutzmassnahmen zu planen und umzusetzen, respektive deren Wirkung zu überprüfen.
Mit der Klimaerwärmung steigen neben den Luft- auch die Wassertemperaturen. Die Folge: Die Lebensgemeinschaften in den Schweizer Gewässern verändern sich beträchtlich. Was bedeutet das nun für die Indizes? Behalten sie ihre Aussagekraft? Sind wie weiterhin nützliche Indikatoren für die Gewässerqualität? Im Auftrag des Bundesamts für Umwelt BAFU ist das Wasserforschungsinstitut Eawag diesen Fragen nachgegangen.
Eine Gruppe von Eawag-Forschenden hat die Indizes einer Art Stresstest unterzogen. Sie nutzten verschiedene Temperaturszenarien und simulierten mit sogenannten multivariaten Artverbreitungsmodellen, wie sich die Erwärmung der Gewässer auf die Gemeinschaft der wirbellosen Kleinlebewesen in der Schweiz auswirken wird. Aus den modellierten Artenvorkommen werden anschliessend die Indizes EPT, IBCH und SPEARpesticides berechnet. Daraus können die Forschenden ableiten, wie die Klimaerwärmung diese Indizes im Lauf des 21. Jahrhunderts beeinflussen könnte. Grundlage waren Daten des Schweizer Biodiversitätsmonitorings (BDM), der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität (NAWA) sowie kantonaler Überwachungsprogramme der Fliessgewässer von insgesamt 1802 Probestellen für die Jahre 2010-2019.
Aussagekraft der Indizes bleibt voraussichtlich trotz Klimaerwärmung erhalten
Die Ergebnisse zeigen, dass die fortschreitende Klimaerwärmung das Leben in den Schweizer Fliessgewässern verändern wird. Die Artenzusammensetzung der wirbellosen Kleinlebewesen wird sich deutlich verschieben: weg von kälteliebenden hin zu wärmeliebenden Arten. Verlieren die erwähnten Indizes nun an Aussagekraft? Die Forschenden können das weitgehend verneinen. Die simulierten Indizes verändern sich im Bereich der für dieses Jahrhundert realistischen Temperaturanstiege nur wenig. Die Forschenden gehen deswegen davon aus, dass die verwendeten Indizes robust genug sind, um die Gewässerqualität für die nächsten Jahrzehnte zu beurteilen. Sie betonen aber auch, dass die Modellvorhersagen mit Vorsicht zu interpretieren sind. Vor allem bei seltenen Arten ist die Modellierung der Verbreitung mit Unsicherheit behaftet, und das Modell reagiert eher zu konservativ auf Einflussfaktoren. Etwas stärkere Auswirkungen der Erwärmung auf die Gewässerqualitäts-Indizes können daher nicht ausgeschlossen werden.
Die Studie war das erste Projekt im Rahmen des Forschungsprogramms Klimawandel und aquatische Biodiversität, das gemeinsam von Eawag und BAFU durchgeführt wird.