Künstliche Intelligenz beschleunigt ökologische Erhebungen
Ökologiefachleute überwachen seit Jahrzehnten die Robbenpopulationen und haben dabei riesige Bibliotheken mit Luftaufnahmen aufgebaut. Die Zählung der Robben auf diesen Fotos erfordert stundenlange, akribische Arbeit, um die Tiere auf jedem Bild manuell zu identifizieren.
Heute hat ein interdisziplinäres Forschendenteam, darunter Jeroen Hoekendijk, Doktorand an der Wageningen University & Research (WUR) und Mitarbeiter des Königlichen Niederländischen Instituts für Meeresforschung (NIOZ), sowie Devis Tuia, ausserordentlicher Professor und Leiter des Environmental Computational Science and Earth Observation Laboratory an der EPFL Wallis, einen effizienteren Ansatz für die Zählung von Objekten bei ökologischen Erhebungen entwickelt. In ihrer Studie, die in Scientific Reports veröffentlicht wurde, verwenden sie ein Deep-Learning-Modell, um die Anzahl der Robben in archivierten Fotos zu zählen. Ihre Methode konnte 100 Bilder in weniger als einer Minute durchlaufen – im Gegensatz zu einer Stunde für einen menschlichen Experten.
Keine Kennzeichnung erforderlich
«In der Ökologie werden die am häufigsten verwendeten Deep-Learning-Modelle zunächst für die Erkennung einzelner Objekte trainiert, und anschliessend werden die erkannten Objekte gezählt. Diese Art von Modell erfordert umfangreiche Beschriftungen einzelner Objekte während des Trainings», sagt Hoekendijk. Bei der von dem Forscherteam angewandten Methode müssen die einzelnen Robben jedoch nicht mehr beschriftet werden, was das Verfahren drastisch beschleunigt, da nur die Gesamtzahl der Tiere im Bild benötigt wird. Darüber hinaus kann ihre Methode zur Zählung beliebiger Gegenstände oder einzelner Tiere verwendet werden und somit möglicherweise nicht nur die neuen Fotos, sondern auch diejenigen, die aus Zeitmangel nicht analysiert werden konnten, auswerten helfen. Dies sind Fotos aus Jahrzehnten, die wichtige Erkenntnisse darüber liefern könnten, wie sich die Populationsgrösse im Laufe der Zeit entwickelt hat.
Vom Makroskopischen zum Mikroskopischen
Die Art und Weise, wie Robben auf Luftaufnahmen erscheinen, kann je nach Höhe und Aufnahmewinkel von einer Partie zur nächsten erheblich variieren. Das Forschungsteam untersuchte daher die Robustheit gegenüber solchen Schwankungen. Um das Potenzial ihres Deep-Learning-Modells zu demonstrieren, testeten die Forschenden ihren Ansatz ausserdem an einem grundlegend anderen Datensatz, der viel kleiner ist: Bilder von mikroskopischen Wachstumsringen in Fischgräten, so genannten Otolithen. Diese Otolithen, auch Hörsteine genannt, sind harte Strukturen aus Kalziumkarbonat, die sich direkt hinter dem Gehirn eines Fisches befinden. Die Forschenden trainierten ihr Modell darauf, die auf den Bildern sichtbaren täglichen Wachstumsringe zu zählen, anhand derer das Alter des Fisches geschätzt werden kann. Diese Wachstumsringe sind dafür bekannt, dass es äusserst schwierig ist, sie einzeln zu beschriften. Das Forschendenteam stellte fest, dass ihr Modell ungefähr die gleiche Fehlerspanne aufwies wie manuelle Methoden, aber 100 Bilder in weniger als einer Minute durcharbeiten konnte, während eine Expertin dafür drei Stunden bräuchte.
Nächster Schritt
In einem nächsten Schritt sollen ähnliche Ansätze auf Satellitenbilder von unzugänglichen arktischen Regionen angewandt werden, in denen mehrere Robbenpopulationen leben, die auf der Roten Liste der bedrohten Arten der International Union for Conservation of Nature (IUCN) stehen. «Wir wollen diesen Ansatz nutzen, um gefährdete Arten in diesem abgelegenen Teil der Welt zu untersuchen, in dem die Temperaturen doppelt so schnell steigen wie anderswo auf dem Planeten», sagt Tuia. «Zu wissen, wo sich die Tiere konzentrieren, ist für den Schutz dieser oft gefährdeten Arten unerlässlich.»