Wegbereiter für hochauflösende Diagnostik
Gregor Weiss erforscht, wie Bakterien und menschliche Zellen interagieren. Relevant sind solche Interaktionen zum Beispiel bei Harnwegsinfektionen. Wenn Darmbakterien von aussen in den Harntrakt gelangen, heften sie sich mit ihrem fädigen Fortsätzen, den Pili, an die Zellen von Harnröhre, Harnleiter oder Blase an und lösen so schmerzhafte Entzündungen aus.
Weiss ist Stukturbiologe. Ihn interessieren die Bauteile und molekularen Mechanismen, die Zellen ihre spezifischen Fähigkeiten verleihen. Einblicke gewinnt er mit einer hochauflösenden Mikroskopie-Methode, die ihn überaus fasziniert: die Kryo-Elektronentomographie (Kryo-ET). Dabei werden die Proben nicht chemisch verändert, sondern in ihrem natürlichen Zustand rasch eingefroren. «Das erlaubt es, intakte Zellstrukturen mit einer beispiellosen Detailtreue sichtbar zu machen», schwärmt er.
Brückenbauer zwischen Biologie und Klinik
In seiner Doktorarbeit untersuchte Weiss das körpereigene Protein Uromodulin, ein häufiges Protein im Urin, von dem man lediglich wusste, dass es die Harnwege vor Infektionen schützen kann. Um regelmässig frische Urinproben von Patient:innen zu erhalten, baute er eine Kollaboration mit dem Kinderspital Zürich auf. Zusammen mit weiteren Forschenden gelang es Weiss mithilfe der Kryo-ET, erstmals die Struktur von Uromodulin zu beschreiben und den Mechanismus zu klären, wie das Protein im Harntrakt Darmbakterien abwehrt.
In einer vielbeachteten Publikation in Science zeigte er, dass Uromodulin langen Ketten bildet, die an die Pili binden und die Bakterien umschlingen. Die Erreger können dann nicht mehr an die Zellen im Harntrakt docken und werden mit dem Urin ausgeschieden.
Tiefere Einblicke für die Diagnostik
Die Arbeit ist doppelt relevant: Zum einen lieferten die Erkenntnisse mögliche Ansatzpunkte für die antibiotikafreie Therapie und Prävention der schmerzhaften Harnwegsinfekte – unzählige Patient:innen würden davon profitieren. Zum anderen zeigte Weiss auf eindrückliche Weise das Potenzial der Kryo-ET für die klinische Diagnostik auf. Das moderne Verfahren bietet durch die höhere Auflösung weitaus tiefere Einblicke in den Zellaufbau als etablierte klinische Instrumente.
Für seine Doktorarbeit erhielt Weiss im Herbst 2020 die ETH-Medaille. 2021 wurde er mit dem Prix Schläfli der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften geehrt. Er entschloss sich, seine Forschung weiterzuführen und die Kryo-ET künftig für die Analyse von klinischen Patient:innenproben, zum Beispiel Biopsien, nutzbar zu machen. Für sein vielversprechendes Vorhaben erhält Gregor Weiss nun den diesjährigen Lopez-Loreta-Preis.
Eine eigene Gruppe etablieren
«Wissenschaft ist immer Teamarbeit», sagt Weiss. Er habe das grosse Glück, wunderbare Mentoren, Kolleginnen und Kollaborationspartner getroffen zu haben. «Alleine kommt man in der modernen Forschung nicht voran.»
Seit ein paar Monaten baut Weiss ein eigenes Forschungsteam auf, das als Untergruppe im Labor seines Doktorvaters, ETH-Professor Martin Pilhofer, angesiedelt ist. Bereits sind zwei erste Doktorandinnen mit an Board, die seine Faszination für die hochauflösende Kryo-ET teilen.
Und das trifft sich gut. Uropathogene Bakterien wurden nämlich auch im Innern von Zellen des Harntraktes beobachtet. «Dort sind sie gut vor Körperabwehr und Antibiotika geschützt, was wiederkehrende Infektionen der Harnwege begünstigt», erklärt Weiss. Seine Gruppe will herausfinden, wie sich die Bakterien in unseren Zellen einnisten können.
Der Lopez-Loreta-Preis wird dabei helfen. Mit dem Preisgeld von einer Million Euro will Weiss sein Team ergänzen und die Kollaborationen mit klinischen Partnern vertiefen. Dabei möchte er auch in Zukunft unkonventionelle Wege gehen und Brücken bauen.