Keine Energiewende ohne Unterstützung der Bevölkerung
Der erste Herausforderung ist finanzieller Art. Für die Entwicklung neuer Technologien und die Modernisierung der bestehenden Infrastruktur werden enorme Investitionen erforderlich sein. Wir werden unser gesamtes Energiesystem überdenken müssen – wie Energie erzeugt, umgewandelt, transportiert, verteilt und schliesslich genutzt wird. Und all dies muss mit Anreizen für uns verbunden werden, einfach weniger zu verbrauchen. Darüber hinaus müssen diese Investitionen in saubere Energie schnell und in vielen Branchen gleichzeitig getätigt werden. Dagegen hat unser derzeitiges Energiesystem, das stark auf fossilen Brennstoffen basiert, zwei grosse Vorteile. Michaël Aklin, ausserordentlicher Professor an der EPFL und Inhaber des Lehrstuhls für Politik und Nachhaltigkeit, erklärt: «Der erste ist, dass es bereits vorhanden ist. Und der zweite ist, dass es funktioniert hat, ohne für die wahren Kosten seiner Auswirkungen auf das Klima oder die Umwelt aufkommen zu müssen. Es ist, als würden zwei Fussballmannschaften auf einem Feld gegeneinander spielen, das eindeutig gegen eine von ihnen geneigt ist.»
Er fügt hinzu, dass ein weiteres, oft unterschätztes Hindernis in der Koordination und den Synergien liegt, die für jede Industrie im Umbruch entscheidend sind: «Neue Technologien erfordern ein ganzes Ökosystem um sie herum: Unternehmen, die die Teile herstellen, sie zusammenbauen und versenden und dann das Endprodukt auf den Markt bringen», sagt Aklin. «Je innovativer eine Technologie ist, desto schwieriger ist es, Unternehmen davon zu überzeugen, mitzumachen. Sie haben Angst, die einzigen zu sein, die investieren und die damit verbundenen Risiken eingehen, und dass andere Unternehmen in der Lieferkette nicht nachziehen. Das sehen wir zum Beispiel bei Wasserstoff, wo die Unternehmen noch zögern.»
Standardisierung der Normen
Maria Anna Hecher, Forscherin am Laboratory for Human Environmental Relations in Urban Systems der EPFL, befasst sich speziell mit den Herausforderungen, die mit der Koordination verbunden sind. Sie untersucht die Faktoren, die die Verbraucher dazu bewegen, auf erneuerbare Energien umzusteigen, sei es durch den Kauf von Sonnenkollektoren, Wärmepumpen, Elektrofahrzeugen oder Energiemanagementsystemen. Eine Studie, die sie und ihre Kolleginnen und Kollegen im Jahr 2022 durchführten, ergab, dass ein Teil des Problems in den vielen verschiedenen Standards liegt, die in den heutigen Systemen verwendet werden: «Es gibt viele Fachleute für eine bestimmte Technologie, aber nur wenige, die alle Technologien miteinander verbinden können», sagt sie. «Es sollte ziemlich einfach sein, zum Beispiel ein Elektrofahrzeug an eine Solaranlage anzuschliessen, aber es ist tatsächlich ziemlich schwierig.»
Das dritte Hindernis – und das ist kein kleines – hängt mit unserem Verhalten als Gesellschaft zusammen. Die Angst vor Veränderungen und vor dem Unbekannten kann zu einer grossen Trägheit führen, vor allem auf Gruppenebene. Hinzu kommt die Aussicht, einen Teil des Wohlstands zu verlieren und mit höheren Lebenshaltungskosten konfrontiert zu werden. Aklin verweist auf die weitgehend unpopuläre Kohlenstoffsteuer als ein Beispiel.
Hechers Studie ermittelte das Profil von Menschen, die sich eher für saubere Energie entscheiden. In der Regel handelt es sich um Hausbesitzer mit Kindern, einem guten Einkommen und einem hohen Bildungsniveau. Sie sind in der Regel gut informiert, interessieren sich für neue Technologien, engagieren sich in gesellschaftlichen Fragen und sind bestrebt, ihre Energieunabhängigkeit zu erhöhen. Es sind Menschen, die über die finanziellen Mittel und die Entscheidungsbefugnis verfügen, dies zu tun – was nicht bei allen der Fall ist.
«Unsere Studie beleuchtet die Faktoren, die die Energiewende sowohl fördern als auch behindern können», sagt Hecher, «das sind wertvolle Informationen, um Barrieren abzubauen und mehr Menschen zu erreichen». Schon jetzt ist klar, dass die Energieversorger und die öffentliche Hand eine zentrale Rolle spielen können, etwa durch die Einführung von Subventionen. Da in der Schweiz ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung zur Miete wohnt, können auch Bauträger und Vermieter einen wichtigen Beitrag leisten.
Die Studie ergab ausserdem, dass Information und Vertrauen unter den Verbrauchern entscheidend für die Akzeptanz sind: «Early Adopters sprechen in der Regel mit ihren Freunden, Familienmitgliedern und Kolleginnen, bevor sie eine Entscheidung treffen», sagt Hecher, «und je öfter sie mit diesen Personen sprechen, desto mehr Vertrauen entsteht. Dieses Vertrauen kann noch weiter gestärkt werden, wenn die Unternehmen, die die Technologie anbieten, vor Ort präsent sind und sich an die Gemeinde wenden. Und schliesslich können öffentliche Veranstaltungen wie Kongresse, Konferenzen und Branchenmessen dazu beitragen, die verschiedenen Akteure der Energiewende miteinander in Kontakt zu bringen.»
Die mächtigen CO2-Interessengruppen
Und dann sind da noch die politischen Hindernisse. Einige davon sind dem politischen System inhärent – wie etwa die Volksabstimmungen in der Schweiz, mit denen die Bürgerinnen und Bürger Druck auf die politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger ausüben können. «Hinzu kommt die Tatsache, dass spezielle Interessengruppen einen unangemessenen Einfluss auf die Gestaltung der Politik haben», sagt Aklin. «Diese Gruppen haben viel Geld oder können eine grosse Anzahl von Menschen mobilisieren, um sich Gehör zu verschaffen.»
Es ist zu einfach zu glauben, dass die Einführung neuer staatlicher Massnahmen ausreicht, um die Energiewende voranzutreiben. Aklin ist der Ansicht, dass sich die politischen Entscheidungsträgerinnen an dem orientieren sollten, was politisch machbar und für die Bürgerinnen und Bürger akzeptabel ist: «Ohne die Unterstützung der Bevölkerung wird die Energiewende nur sehr langsam vorankommen», sagt er. «Wir müssen politische Massnahmen entwickeln, die den wichtigsten Teilen der Gesellschaft zugute kommen, um so die Unterstützung für die Massnahmen zu erhöhen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass diese Unterstützung anhält.»