Strom und Wärme haltbar machen
Die Schweiz will ihre Energieversorgung bis 2050 klimaneutral gestalten. Dazu muss sie fossile Brenn- und Treibstoffe durch erneuerbare Energien ersetzen. Zudem will die Schweiz aus der Kernenergie aussteigen. Das Energiesystem von morgen muss also nicht nur die Sektoren Transport und Heizen mittels Elektromobilität beziehungsweise Wärmepumpen elektrifizieren, sondern gleichzeitig die wegfallende Elektrizität aus Kernkraftwerken kompensieren. Den erhöhten Strombedarf decken sollen neben der Wasserkraft vor allem Fotovoltaik und begrenzt Windkraft.
Strom aus Sonne und Wind fliesst aber nicht immer dann, wenn man ihn braucht. «Das Netz muss die schwankende Produktion der Erneuerbaren permanent ausgleichen und auf die Nachfrage abstimmen», sagt Gabriela Hug, Professorin für elektrische Energiesysteme an der ETH Zürich. Forschung am Energy Science Center (ESC) der ETH, dem Hug vorsteht, zeigt anhand von Modellen, dass ein erneuerbares Energiesystem technisch machbar und wirtschaftlich sinnvoll ist. «Einfach wird es nicht», sagt Hug. Und: «Ohne Speicher kann die Energiewende nicht gelingen.» Speicher stabilisieren das Stromnetz. Sie sorgen für die notwendige Flexibilität, um den fluktuierenden Strom aus Sonne, Wasser, Wind und Co. auszubalancieren. Gefragt sind Technologien, die Strom und Wärme effizient umwandeln, haltbar machen und wieder bereitstellen können – von minütlich bis saisonal.
Wenn die Schweiz in Zukunft verstärkt auf Fotovoltaik setzt, gibt es im Sommer am Mittag mehr Strom als benötigt. Deshalb braucht es kurzfristige Speicher, um den mittäglichen Sonnenstrom Tag und Nacht verfügbar zu machen. «In der Schweiz ist aber die Langzeitspeicherung die grosse Herausforderung», hält Hug fest.
Bereits heute produzieren wir im Winter zu wenig Strom und decken die erhöhte Nachfrage durch Importe ab. Dieses saisonale Ungleichgewicht wird durch die Energiewende weiter verstärkt. Gianfranco Guidati, Experte für die Modellierung von Energiesystemen am ESC, erklärt: «Vor allem die Fotovoltaik generiert im Sommer Überschüsse; im Winter, wenn die Sonne schwächelt und Wärmepumpen Häuser heizen, droht beim Strom eine Erzeugungslücke.»
Für die Schweiz stellt sich damit die zentrale Frage: Wie lässt sich überschüssige Sonnenenergie vom Sommer in den Winter umlagern? Fest steht: Der Bedarf an Speichern wächst. Für Hug braucht es Investitionen sowohl in etablierte als auch in künftige Speichertechnologien. «Denn eine Patent-Speicherlösung gibt es bislang nicht.»
Speicher sollen aber kein Selbstzweck sein, ergänzt Guidati. «Das Ziel der Schweiz lautet netto null Treibhausgase bis 2050 – und Speicher sind ein wichtiges, aber nicht das einzige Mittel dazu.» Deshalb sollten wir neben physischen Kapazitäten auch indirekte Methoden der Energiespeicherung nutzen. «Wir brauchen ein Potpourri an unterschiedlichen Ansätzen», sagt der Systemmodellierer.
Flusskraftwerk und Pumpspeicher
Für Robert Boes, ETH-Professor für Wasserbau, ist die Wasserkraft das Rückgrat des Schweizer Elektrizitätssystems: «Mit einem Anteil von rund 60 Prozent ist sie unsere bedeutendste erneuerbare Stromquelle und birgt zentrale Speicherfunktionen für die Energiewende.»
Flusskraftwerke turbinieren zufliessendes Wasser direkt und liefern erneuerbare Bandenergie, um die Grundlast zu decken, haben jedoch keine Speicherfunktion. Speicherkraftwerke hingegen besitzen einen Stausee, der sie flexibel macht. Die grossen Speicherseen in den Alpen dienen primär als saisonale Energiespeicher: «Sie sammeln im Frühling und im Sommer Regen- und Schmelzwasser, um im Winter daraus Strom zu produzieren», erklärt Boes. Allerdings können die grossen Seen den Strom nicht speichern.
Das können nur Pumpspeicherwerke: Sie pumpen Wasser von einem unteren Becken in einen Stausee hoch. Wird Strom benötigt, entleeren sie den Speicher über die Turbinen. Aktuell sind Pumpspeicher die einzige erprobte Technologie, die kurzfristig viel Strom aufnehmen und wieder abgeben kann. Als leistungsstarke und flexible Stromspeicher eignen sie sich perfekt, um Tages- und Tag-Nacht-Schwankungen der Fotovoltaik auszugleichen. Ihr Speichervolumen ist aber meist zu gering, um Strom im grossen Stil saisonal umzulagern.
Mehr und grössere Speicherseen könnten hingegen helfen, die Winterstromlücke zu schliessen. Doch der Ausbau ist umstritten. Projekte kollidieren oft mit dem Naturschutz und wecken Widerstand. «Das Potenzial ist beschränkt», bestätigt Boes. «Die Wasserkraft ist zwar technisch ausgereift und sehr effizient. Umweltaspekte, wie beispielsweise ausreichend Restwasser, wurden früher aber weniger stark gewichtet», sagt Boes.
An der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich suchen Forschende deshalb nach Lösungen, um die Wasserkraft ökologischer zu gestalten. Beispiele sind optimierte Umleitstollen, durch die Sedimente weitertransportiert werden, oder Leitrechen, die Fische sicher an Speichereinläufen und Turbinen vorbei lenken. «Will die Wasserkraft mehr Akzeptanz, muss sie die Biodiversität schonen», betont Boes.
Dezentrale Kleinspeicher
Aus Netzsicht sind Batterien kleine Pumpspeicher im Verteilnetz: Wenn künftig immer mehr kleine Fotovoltaikanlagen auf Hausdächern Strom dezentral erzeugen, braucht es verteilte Kleinspeicher, welche die Produktion lokal puffern. Ähnlich wie Pumpspeicher dienen Batterien dem schnellen Leistungsausgleich. «Weil man die Kapazität der Batterien einfach auf den Bedarf der Anwendung abstimmen kann, eignen sie sich gut als dezentrale Stromspeicher in Gebäuden», sagt ETH-Professorin Vanessa Wood.
In Kombination mit Fotovoltaikanlagen können die Batterien überschüssigen Strom lokal für wenige Minuten bis Stunden zwischenspeichern und so das Netz entlasten. Würde sämtlicher Sonnenstrom zu Spitzenzeiten aus den Siedlungsgebieten zu den paar wenigen Pumpspeicherkraftwerken in den Bergen transportiert, könnte es zu Netzengpässen kommen.
Der Markt für Batterieanwendungen in Fahrzeugen und Haushalten entwickelt sich rasant. Bereits gibt es erste Grossbatterien für Quartiere, um kurzfristige Fluktuationen auszugleichen. «Wichtig ist nun, Batterien noch effizienter zu machen, damit sie während ihrer Lebensdauer mehr Zyklen von Ladung und Entladung durchlaufen können», sagt Wood, die selbst an neuartigen Batteriekonzepten forscht. «Gleichzeitig müssen wir auch Ersatzmaterialien finden für problematische Batterierohstoffe sowie Methoden entwickeln, um Batterien günstig und mit wenig Energie rezyklieren zu können», sagt sie. Daran wird weltweit geforscht.
In einem idealen Energiesystem liesse sich der erhöhte Strombedarf fürs Heizen im Winter direkt mit überschüssigem Solarstrom vom Sommer decken. Noch ist es aber nicht rentabel, grosse Strommengen über mehrere Monate zu speichern. Eine Möglichkeit, die Sommersonne dennoch für den Winter nutzbar zu machen, sind Wärmespeicher. «Die Technik ist verfügbar, wirtschaftlich und in Ländern wie Dänemark bereits etabliert», sagt Gianfranco Guidati. In der Schweiz werden Wärmespeicher aber noch wenig diskutiert.
Saisonale Wärmespeicher nehmen im Sommer Wärme auf und geben sie im Winter wieder ab. Dazu sind grosse Wärmereservoirs notwendig – Becken, Tanks oder wasserführende Schichten im Untergrund. Sie speichern erwärmtes Wasser, das im Sommer mit Wärmepumpen und überschüssigem Solarstrom aufgeheizt wird.
Durch die Verlagerung der Wärmeproduktion in den Sommer senken Wärmespeicher den Strombedarf im Winter und helfen, die Stromlücke zu vermeiden. Guidati geht davon aus, dass Wärmespeicher in Zukunft für die Schweiz eine wichtige Rolle spielen werden.
Speicherfähige Energieträger
Es gibt auf absehbare Zeit nur eine Möglichkeit, um Strom unbegrenzt haltbar zu machen: «Wenn wir dereinst im Sommer sämtliche kurzfristigen Speicheroptionen ausgeschöpft haben und immer noch überschüssiger Strom vorhanden ist, dann könnten wir eine Umwandlung in speicherfähige Energieträger in Betracht ziehen», betont Guidati. Damit spricht er den viel diskutierten Wasserstoff an.
Bei der Elektrolyse wird Wasser mit Strom in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Den Wasserstoff könnte man in geeigneten Speichern lagern und im Winter mit einer Gasturbine oder einer Brennstoffzelle wieder zu Strom und Wärme umwandeln. Alternativ lässt sich aus Wasserstoff und zuvor abgeschiedenem CO2 synthetisches Methan herstellen. Dieses besitzt eine höhere Energiedichte und hat den Vorteil, dass man es ins bestehende Erdgasnetz einspeisen kann. Schliesslich gewinnt man in einem weiteren Schritt CO2-neutrale Flüssigtreibstoffe für die Luftfahrt oder für Schiffe.
«All diese Verfahren sind heute aber noch nicht etabliert und häufig auch noch nicht rentabel», sagt Gabriela Hug. Synthetische Gase könnten zwar als Langzeitspeicher für Sommersolarstrom dienen – doch die Rückwandlung in Strom und Wärme ist meist ineffizient. «Aus Effizienzgründen sollte man Stromüberschüsse daher wenn immer möglich direkt nutzen, etwa für die Elektromobilität», argumentiert Hug. Dennoch erachtet sie synthetische Treibstoffe als bedeutend für Anwendungen, die schlecht elektrifiziert werden können, und in Zukunft möglicherweise auch als Langzeitspeicher.
Hub- und Druckluftspeicher
Bei den kurzfristigen Stromspeichern gibt es Alternativen zu Pumpspeicherwerk und Batterie. Hubspeicherkraftwerke nutzen wie Pumpspeicher die Lageenergie, arbeiten jedoch anstelle von Wasser mit Gewichten als Speichermedium, die etwa mit Kranen in die Höhe gezogen werden.
Etwas weniger effizient sind Druckluftspeicher: Sie pumpen Luft in einen Speicher und erzeugen Druckluft, mit der eine Gasturbine bei Bedarf rasch Regelstrom für den Netzausgleich generieren kann. Beim Komprimieren entsteht allerdings auch Wärme, die am besten gespeichert und beim Entladen wieder zur Verfügung gestellt wird.
Effizienter, aber auch teurer sind Schwungräder: Bezüglich Kapazität drehen sie eher in der Liga von Batterien, speichern den Strom jedoch in Form von Bewegungsenergie und nur für Sekunden bis wenige Minuten, dies ebenfalls, um Netze zu stabilisieren.
Schlaue Energienetze
Was alle Forschenden betonen: Neben physischen Speichern gibt es weitere Ansätze, die indirekt wie Speicher wirken und das System flexibler machen. So könnten digitalisierte und automatisierte Stromnetze Produktion und Verbrauch in Echtzeit überwachen und verfügbare Ressourcen optimal einsetzen. «Dank intelligenter Steuerung wird es künftig möglich sein, Energienetze näher an der maximalen Auslastung zu betreiben», erklärt Stromnetzexpertin Hug. Gelingt dies, wird das System effizienter und der Bedarf an Reserven sinkt.
Auch die Nachfrage muss flexibler werden, um den Strom möglichst dann zu beziehen, wenn er anfällt. Intelligentes Lastenmanagement kann dabei helfen, den Speicherbedarf zu senken. Gianfranco Guidati nennt als Beispiel die Elektromobilität: «E-Mobile sind fahrende Batterien, die tagsüber die Fotovoltaikspitzen aufnehmen könnten.» Also braucht es Ladestationen dort, wo die Fahrzeuge tagsüber sind: am Arbeitsort, in Parkhäusern und auf zentrumsnahen Parkplätzen.
Importierte Energie
Das ESC geht davon aus, dass für die Schweiz auch ein Ausbau der Stromproduktion im Winter notwendig wird. Dazu kommen Reserven für die Wasserkraft, aber auch Investitionen in alpine Fotovoltaik, Geothermie oder Gaskraftwerke für Bio- oder Synthesegas infrage. Eine autarke Stromproduktion ergibt laut Hug aber keinen Sinn – eine Insellösung wäre ineffizient und enorm teuer.
Die Schweiz wird also auch in Zukunft nicht genügend Strom produzieren, um ihren Bedarf zu decken, und bleibt weiterhin auf Stromimporte angewiesen. «Unsere Modelle zeigen, dass eine sichere und ökonomische Stromversorgung auch einen funktionierenden Austausch mit den Nachbarländern erfordert», hält Hug fest.
Im Gegensatz zur Schweiz hat Nordeuropa genügend Strom im Winter, weil Länder wie Dänemark stark auf Windkraft setzen, die im Winter Spitzen produziert. So könnte die Schweiz im Winter Windstrom importieren und im Sommer Solarstrom über Pumpspeicher als schnelle Regelleistung exportieren.
Und das macht Sinn: Wenn Länder ihre unterschiedlichen Kapazitäten über den Stromhandel ausgleichen, profitieren alle davon. Ohne Stromabkommen wird der Austausch mit der EU jedoch schwierig. «Ein geregelter Zugang zum europäischen Strommarkt wäre für die Schweiz daher enorm wichtig», betont die Netzwerkerin.
Für eine gelungene Energiewende braucht die Schweiz also nicht nur ein umfangreiches Potpourri an technologischen Ansätzen, sondern auch Lösungen, die von dezentral bis international reichen.