Wissen praxistauglich und transparenter machen
Geht es um Pflanzenschutz, sind verschiedenste Akteure involviert. Dazu gehören Landwirte, Hersteller von Pflanzenschutzmitteln, Grossverteiler, Konsumentinnen, Interessenverbände und Nationalrätinnen – also Personen oder Organisationen, die politische Rollen einnehmen oder Teil der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette sind. Je nach Motivation und Interessen unterscheidet sich ihr Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, die als Evidenz bezeichnet werden, grundlegend. Sinnorientierte Akteure wollen neues Wissen mit ihren bestehenden Überzeugungen und Erfahrungen vereinen. Nutzenmaximierende Akteure setzen Evidenz strategisch ein, um ihre Interessen durchzusetzen. Wahrheitssuchende Akteure treffen ihre Entscheidungen auf Basis der besten verfügbaren Evidenz.
«In unserer Studie entwickeln und betrachten wir diese drei Akteursmodelle über verschiedene Stufen der Evidenznutzung», erklärt Eawag-Forscher Benjamin Hofmann und betont: «Dabei ist uns wichtig, dass wir die Motivationen der Akteure nicht werten.» Je nach Modell zeigen sich verschiedenste Hürden für eine evidenzbasierte Pflanzenschutzpolitik und -praxis. «Wir haben dabei nicht selbst Daten erhoben, sondern stützen uns auf andere Studien, die Teile dieses Problems beleuchten, und fügen den aktuellen Wissensstand zusammen», erklärt Hofmann die Arbeit des interdisziplinären Projektkonsortiums, an dem neben dem Wasserforschungsinstitut Eawag auch die ETH Zürich, die Universität Bern, das Schweizerische Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) und das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) beteiligt sind.
Wahrheit, Sinn oder Nutzen
Eine der grössten Hürden für wahrheitssuchende Akteure sind Unsicherheiten, weil Wissen fehlt. «Es ist beispielsweise herausfordernd und langwierig, den kausalen Zusammenhang zwischen dem Einsatz bestimmter Pflanzenschutzmitteln und chronischen Erkrankungen wie Krebs sauber nachzuweisen», sagt Hofmann. Bei sinnorientierten Akteuren muss das Wissen zur Praxiserfahrung passen. So entscheiden sich Landwirte und Landwirtinnen eher dazu, weniger Pflanzenschutzmittel einzusetzen, wenn sie Erfolgsbeispiele von anderen Betrieben kennen.
Nutzenmaximierende Akteure nehmen mit ihren Interessen Einfluss darauf, welche Evidenz in Entscheidungen berücksichtigt wird und welche Wirkung diese entfalten. «Eine Studie hat ergeben, dass Landwirte und Landwirtinnen weniger chemische Pflanzenschutzmittel zur Bekämpfung eines neuen Schädlings einsetzen, wenn sie öffentliche Beratungsstellen in Anspruch nehmen, als wenn sie von privaten Diensten beraten werden», erzählt Hofmann: «Natürlich kann man das mit kommerziellen Überlegungen erklären.» Es gehe aber keineswegs darum, Akteure anzuprangern, sondern breit abgestützt und demokratisch legitimiert Lösungen zur Überwindung der Hürden zu finden. «Wir wollen Kompromisse finden und den Dialog zwischen den verschiedenen Akteuren und der Wissenschaft ausbauen», so der Forscher.
Das Team schlägt einen Mix an Massnahmen vor, um die Hürden zu überwinden. «Für die wahrheitssuchenden Akteure müsste es mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit, global-lokale Wissensvernetzung und vor allem eine schnellere Synthese des aktuellen Wissensstands geben», sagt Hofmann. Für die sinnorientierten Akteure hingegen braucht es mehr transdisziplinäre Forschung, damit Wissenschaft und Praxis enger verknüpft werden können. «Es gibt nicht nur die wissenschaftliche Evidenz, sondern auch Erfahrungswissen», so der Forscher: «Man muss die Akteure selbst in den Forschungsprozess einbinden.» Weiss man, wie sie verschiedene Ziele gewichten, lassen sich Kompromisslösungen eher finden.
Transparenz verstärken
«Bei den nutzenmaximierenden Akteuren braucht es mehr Transparenz», sagt Hofmann: «Wir müssen sicherstellen, dass diese strategische Nutzung von Evidenz schneller sichtbar wird, wenn man sie nicht vermeiden kann.» Das Team schlägt vor, dass alle Daten, die mit öffentlichen Mitteln erhoben wurden, auch öffentlich zugänglich sein müssen. Bei politischen Entscheiden soll eine Dokumentation dafür sorgen, dass klar ersichtlich ist, worauf sich die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger stützen, welche Studien berücksichtigt wurden, wer diese in Auftrag gab und wie sie finanziert wurden.
Mit ihrer Arbeit wollen die Forschenden eine generelle Diskussion über die Barrieren für evidenzbasierte Politik und Praxis anstossen, die sich nicht nur auf den Pflanzenschutz beschränkt. «Denn beim Klimaschutz oder der Biodiversität stellen sich die gleichen Probleme», sagt Hofmann. Auch dort müsse man wissen, welche Akteure beteiligt seien, und die wissenschaftliche Evidenz entsprechend vermitteln, aber auch von der Politik einfordern, dass Rahmenbedingungen wie eine verstärkte Transparenz geschaffen würden.