Gesunde Neugeborene dank Künstlicher Intelligenz
Wer den Begriff «Künstliche Intelligenz» (KI) bei Google eingibt, erhält knapp 20 Millionen Einträge. KI befasst sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens und dem Maschinellen Lernen über Daten und Algorithmen. An der ETH Zürich ist KI in Lehre und Forschung seit Jahren in etlichen Studiengängen verankert: von den Grundlagen der Informatik, Mathematik und Informationstechnik bis hin zu Anwendnungen in den Bauingenieurswissenschaften, in der Architektur sowie in den Natur- und Sozialwissenschaften. Breit ist auch der Einsatz etwa in der Medizin oder Energieforschung.
Nun wird diese gewachsene Kompetenz noch stärker interdisziplinär verankert. Das «ETH AI Center» der ETH Zürich, das sämtliche Aktivitäten der Hochschule rund um Artificial Intelligence (AI) vernetzt, öffnete Ende Oktober 2020 seine Pforten. Es bietet Raum, Fachleute der AI-Grundlagenforschung mit eher anwendungsorientierten Forschenden auf diesem Gebiet auch physisch zum Austausch zusammenzubringen. Das Zentrum soll auch zum Inkubator für die Gründung von KI-Start-ups heranwachsen und den Transfer des gewonnenen Wissens in die Wirtschaft fördern. «Wir schaffen einen zentralen Knotenpunkt für KI an der ETH Zürich», sagt Andreas Krause, Professor am Institut für Maschinelles Lernen und Vorsteher des ETH AI Center, «und das über alle Forschungsbereiche hinweg.» Zudem wird das Zentrum auch Mitglied des europäischen KI-Forschungsnetzwerks ELLIS (ellis.eu) und wird in Open-Labs Gastforschende beherbergen.
Am Start ist eine geballte Ladung an Forschenden von 81 Professuren aus 16 Departementen – es sollen in Zukunft über hundert werden. Eine von ihnen: Julia Vogt, Mathematikerin, promovierte Informatikerin, nun Professorin für medizinische Datenwissenschaft, die heute unter Einsatz von KI Brücken zwischen datengetriebener Informatik und angewandter Medizin schlägt. Häufig geht es bei ihr um die Früherkennung möglicher Krankheiten beispielsweise am Herzen oder bei Neugeborenen. In einem ersten Schritt geht es darum, unterschiedliche Datentypen – Bilder, geschriebene oder genetische Informationen oder zeitbezogene Daten – in einem einzigen Datenraum zusammenzuführen. «Meine Forschung als Datenwissenschaftlerin», so Vogt, «und die Fragestellungen von Ärzten sowie das Interesse der Medizin, aus unterschiedlichsten Daten von Patienten zusätzliche Erkenntnisse für Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu erhalten, sind eng verbunden.» Die Wissenschaftlerin arbeitet mit dem klinischen Wissen der Mediziner zunächst ein Modell aus. Über eine App steht dieses dem Arzt zur Verfügung, um die erforderlichen Daten zu erfassen. Mit einem Knopfdruck erhält er dann Informationen zum Beispiel über Risiken von Erkrankungen der Patienten.
Anomalien früher erkennen
Zurzeit befinden sich die Projekte von Vogt im Stadium der Forschung. Zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit von Neugeborenen, an Gelbsucht zu erkranken. Früh erkannt, ist diese mit einer Lichttherapie problemlos therapierbar. Die in enger Zusammenarbeit zwischen KI-Forschenden und Medizinern entstandene App kann anhand von lediglich vier Indikatoren bereits 48 Stunden vor Auftreten erster Symptome vorhersagen, ob eine Erkrankung wahrscheinlich ist. Eine weitere Anwendung ist die Früherkennung von Herzfehlern bei Neugeborenen. Aus einer grossen Menge von Ultraschallbildern, bei denen das kleine Herz aus verschiedenen standardisierten Blickwinkeln aufgenommen wurde, findet Vogt Hinweise auf mögliche Herzfehler. Ärzte können so Anomalien früher erkennen. Es sind diese beispielhaften wissenschaftsbasierten KI-Anwendungen in der Medizin, die – einmal zur kommerziellen Nutzung zertifiziert – das Potenzial haben, positiv und direkt in den ärztlichen Alltag und in die Gesundheit der Patienten hineinzuwirken.
Krause, Vorsteher des ETH AI Center, will die nächste Generation an Top-KI-Talenten ausbilden: «herausragende Forschende, die Neuland betreten und wegweisenden interdisziplinären KI-Fragestellungen nachgehen». Es geht nicht nur darum, bestehende KI-Verfahren anzuwenden, sondern sie in enger Zusammenarbeit mit Anwendern weiterzuentwickeln. Etwa: Wie müssen neuronale Netze aussehen, um Chemie-Probleme zu lösen? Oder: Wie müssen Reinforcement- Learning-Algorithmen gestaltet sein, um grosse Datenmengen im Kontext von Industrie 4.0 oder dem Internet der Dinge effektiv und sicher nutzen zu können? Es gibt viel Potenzial für praktische Anwendungen. Deshalb ist das Center auch offen für Industrie-Partnerschaften. Mehr noch: «Wir bilden hier auch die neuen KI-Unternehmer aus, die marktfähige Forschung in Start-ups und Unternehmen tragen sollen», so Krause.
Geschäftsbericht 2020
Dieser Artikel wurde im Rahmen des Geschäftsberichts 2020 des ETH-Rats über den ETH-Bereich erstellt.