CTsystems: Ein Marathon auf den Markt
Die Hoffnungsträger sind unscheinbar, winzig, dunkelgrau: hauchdünne quadratische Silikon-Plättchen von 15 mal 15 Millimetern auf einem Tisch im Raum 024 der Metallhalle, Empa, Dübendorf. In einem Karton daneben liegt das fertige Produkt aus Hunderten davon, die zu «Türmchen» gestapelt sind, mit filigranen Elektrodenschichten dazwischen. Setzt man solche Bauteile unter elektrische Spannung, werden die Silikonscheiben zusammengedrückt; der Aktor «schrumpft» ein wenig – und kann auch, vice versa, elektronisch registrieren, wenn er zusammengedrückt wird.
Wozu? Solche «Stapel-Aktoren» sind einfacher und günstiger als herkömmliche Technologie und liessen sich vielfältig einsetzen: für Antriebe von Pumpen, als Schalter in Lenkrädern, Bedienknöpfe mit haptischem Feedback und vieles mehr. Ein Potenzial, das Gabor Kovacs zunächst an der Empa, später im Empa-Spin-off CTsystems, gegründet im August 2012, zur Reife gebracht hat – von ersten Tüfteleien mit verschiedenen Materialien bis zur Erfolgsmeldung vor vier Monaten: Übernahme durch den Industriekonzern Dätwyler, mit dem das Team schon seit 2018 kooperiert. An dessen Standort in Schattdorf im Kanton Uri entsteht derzeit eine automatisierte Produktionsanlage, die demnächst in Betrieb gehen soll. Kurzum: Der Schritt in den Markt steht bevor.
Neustart mit grosser Neugier
Bis dahin hat es ein Weilchen gedauert: rund 22 Jahre, seit Maschinenbau-Ingenieur Kovacs, damals an der Empa für Seilbahn-Technologie zuständig, sich von der Idee elektroaktiver Polymeren (EAP) inspirieren liess – zum Beispiel durch Artikel im Wissenschaftsmagazin «Science». Und weil sich die Empa um die Jahrtausendwende von einer traditionellen Prüfanstalt zu einem modernen Forschungsinstitut wandelte, entschied er sich zu einem Neustart auf diesem Gebiet.
Die Anfänge erscheinen im Rückblick abenteuerlich: von ersten Bauteilen, deren Schichten aus handelsüblichem Acrylklebeband entstanden, bis zu künstlichen EAP-Muskeln für einen Roboter, der bei einem «Arm-Drück»-Wettbewerb am «Jet Propulsion Laboratory» der US-Weltraumfahrbehörde NASA in San Diego antrat. Resultat: Rang 2. «Das war unser erstes Highlight!», sagt Kovacs mit einem Lachen.
Das zweite war das «Blimp»-Luftschiff, das ein Empa-Team von Fachleuten um Silvain Michel entwickelte: ein gasgefülltes Schwebegefährt, dessen Höhen- und Seitenruder durch elektroaktive Polymere bewegt wurden. Daraus entstand schliesslich ein acht Meter langer Demonstrator, der sich dank EAP-«Muskelsträngen» an Seiten und Schwanz mit Rumpfbiegungen und einem Flossenschlag in der Luft fortbewegte – wie ein Fisch im Wasser.
Fehlversuche und Fortschritte
Lehrreiche Erfahrungen, von denen auch die Technologie selbst profitierte. Das anfängliche Acryl-Klebeband ersetzte nach einigen Jahren Silikon, das nach der Vernetzung durch Vulkanisation viele Vorteile hat: gut zu verarbeiten, stabil über zahllose Bewegungszyklen und dauerhaft auch bei hohen und tiefen Temperaturen. «Das ist das A und O, gerade beim Einsatz im Automobilbau», sagt Entwickler Kovacs, «solche Eigenschaften haben nicht so viele elastische Materialien.»
Nach handelsüblichem Silikon wird mittlerweile eine spezielle Rezeptur verwendet – einer von vielen Entwicklungsschritten, an denen auch Maschineningenieur Lukas Düring, 40, beteiligt war, der 2008 für eine Diplomarbeit an die Empa kam und als Forscher blieb: ein talentierter Helfer mit wertvollem Input, der schliesslich zum Kompagnon wurde. «Er hat sehr viel getüftelt und getestet – mit grossem Erfolg», sagt Kovacs, «das ist so ein richtiger ‹Daniel Düsentrieb›!»
Rückschläge blieben den Entwicklern dennoch nicht erspart. Materialien, die plötzlich nicht mehr lieferbar waren, fehlende Ersatzteile oder Defekte an der hochpräzisen Nass-Stapelmaschine für die fertigen Silikonlagen: die patentierte Anlage der Empa, die auch als Vorbild für die künftige Produktion beim Hersteller Dätwyler dient.
Doch nun stehen die Chancen auf marktfähige Produkte gut, meint Kovacs: Die Technologie ist einfach anzuwenden, robust und – anders als vergleichbare Elektromotoren – lautlos. Doch Erfolgsgarantien? Nein, die gibt es nicht. Auch beim Schritt in die Massenproduktion sind noch Details offen; zum Beispiel beim Elektrodenmaterial zwischen den Silikonscheibchen. Ideen und Herzblut sind also weiterhin gefragt – in Zukunft mehr von Lukas Düring, der schon bei Dätwyler angestellt ist, als von Gabor Kovacs, mittlerweile im Ruhestand.
Entwickler-Tugenden? Natürlich!
Wozu rät der Senior jungen Forschenden, die einen ähnlichen Weg einschlagen wollen? Eine optimistische Grundhaltung? «Ooooh ja!», sagt Kovacs und nickt. Ausdauer? «Ooooh ja!», sagt er, «es braucht dieses unnachgiebige Durchhalten». Und neben Ideen für Lösungen auch den nötigen Realitätssinn, um abzuwägen, welche mit Blick auf den Markt umsetzbar sind.
Ein Marathonlauf also und zugleich ein Boxkampf zwischen Vision und Wirklichkeit, der über viele Runden geht – und selbst von kompetenten Fachleuten schon verloren wurde. Zum Beispiel in Deutschland: «Dort haben sich viele Institutionen jahrelang damit beschäftigt, wie man solche Stapel-Aktoren herstellen kann», erzählt Kovacs, «bislang ohne Erfolg.»
Was machte den Unterschied aus? Dass es bei CTsystems besser ausging, lag auch an einem simplen Umstand, den Kovacs aber entscheidend findet. Die letzten paar Prozent auf dem Weg zum Erfolg, «ist das persönliche Mittragen des Risikos», sagt er, «dass es einfach funktionieren muss!»
Spin-off: Geburtshilfe der Empa
Die Gründung eines Spin-off-Unternehmens ist ein bewährtes Werkzeug zur Förderung aussichtsreicher Technologien. Im vorliegenden Fall wurde die heutige CTsystems AG im August 2012 als «Compliant Transducer Systems GmbH» und Spin-off der Empa durch Gabor Kovacs und Lukas Düring gegründet, um die Entwicklung des Marktes voranzutreiben. Neben dem bereits erarbeiteten Knowhow und günstigen Lizenzgebühren für zwei Patente bekam der Spin-off Zugriff auf Empa-Infrastruktur und die vorhandene Herstellungslaboranlage sowie weitere Unterstützung.