«Ja, aber nicht so!» – warum Verdichtung oft an der Akzeptanz scheitert

Verdichtung ist heute ein Grundsatz der Stadtentwicklung. Trotzdem stösst sie immer wieder auf lokalen Widerstand. ETH-Raumwissenschaftler:innen haben nun in sechs Weltstädten und im Kanton Zürich systematisch untersucht, wie sich die Akzeptanz von Verdichtung in der Bevölkerung erklären lässt. Eine Schlüsselrolle spielt der preisgünstige Wohnungsraum.
In Zürich hängt die Akzeptanz von Wohnverdichtungsprojekten sehr stark davon ab, wie die Auswirkungen auf die Wohnkosten und die Mieten wahrgenommen werden. Im Bild Zürich-​Nord. (Bild: KEYSTONE / Christian Beutler)

Dass sich Städte besser innerhalb der bestehenden Siedlungsflächen weiterentwickeln als immer weiter in die Landschaft hinauszuwachsen, ist heute als Grundsatz der Stadtentwicklung in demokratischen Staaten weit über Planungs-Fachkreise hinaus anerkannt. Schliesslich haben dichte und kompakte Städte einige ökologische, ökonomische und soziale Vorzüge – wie zum Beispiel geringere Zersiedelung, Schutz der unbebauten Landschaft, kürzere Verkehrswege, tiefere Treibhausgasemissionen oder auch vielfältige Arbeits-, Kultur- und Wohnangebote.

Trotzdem stossen urbane Verdichtungsprojekte regelmässig auf lokalen Widerstand. Die Gründe dafür sind zahlreich und umfassen typischerweise Aspekte wie Verkehr, Lärm oder Veränderung des Quartiercharakters und Verlust an Grünraum: «Fehlende Akzeptanz in der Bevölkerung ist in demokratischen Staaten einer der Hauptgründe, die die Verdichtung der Städte und Metropolregionen verlangsamen oder gar blockieren kann», sagt David Kaufmann, Professor für Raumentwicklung und Stadtpolitik an der ETH Zürich.

Je näher am Projekt, umso weniger Akzeptanz

Ein Schlüsselfaktor urbaner Verdichtung ist der Wohnraum, da Verdichtungsprojekte sowohl den Wert von Haus- und Wohneigentum als auch die Mieten und die Bevölkerungszusammensetzung einer Nachbarschaft verändern können. «Der Wohnungsbau ist heute eines der grossen Spannungsfelder der Verdichtung», sagt David Kaufmann, «und wir sehen, dass die Akzeptanz der Verdichtung sowohl in Zürich als auch in den globalen Metropolen eng mit der Bereitstellung von preisgünstigem Wohnraum zusammenhängt.»

Aktuell hat Kaufmanns Forschungsgruppe deshalb systematisch für sechs Weltstädte und für den Kanton Zürich untersucht, weshalb die Bevölkerung in Grossstädten Verdichtungsprojekte akzeptiert oder nicht. Mit einer neuartigen Kombination von Befragungsmethoden ermittelt die Gruppe die Einstellung der Bevölkerung zur Verdichtung und schliesst daraus, welche projektbezogenen Faktoren und städteplanerischen Massnahmen die Akzeptanz von Wohnverdichtungsprojekten erhöhen und die als negativ wahrgenommenen Auswirkungen der Verdichtung abfedern können.

Für die internationale Vergleichsstudie, die jetzt in der renommierten Wissenschaftszeitschrift PNAS erschienen ist, befragten die Forschenden über 12’400 Teilnehmer: innen in Berlin, Paris, London, New York, Chicago und Los Angeles. Dabei zeigt sich, dass in allen sechs Metropolen die räumliche Nähe der Betroffenen zu einem geplanten Verdichtungsprojekt die Akzeptanz entscheidend beeinflusst: Je näher jemand beim künftigen Bauprojekt wohnt, umso geringer fällt die Akzeptanz der Verdichtung aus. Bei Verdichtungsprojekten, die nicht in der eigenen Nachbarschaft geplant sind, sondern in einem anderen Stadtteil, nimmt die Akzeptanz zu.

«Wohnverdichtungsprojekte, die bezahlbaren Wohnraum in Städten bereitstellen, sind breiter akzeptiert, da sie dazu beitragen, die wahrgenommenen negativen Folgen der Verdichtung abzumildern.»      David Kaufmann

Die ETH-Forschenden sprechen auch von «NIMBY-Verhalten»: NIMBY steht für Englisch «not in my backyard» oder sinngemäss auf Deutsch «nicht in meiner Nachbarschaft» oder «nicht vor meiner Haustür». Diese Diskrepanz existiert ebenfalls im Kanton Zürich, wie die ETH-Forschenden in einer Studie, die sie zu Beginn dieses Jahres in der Planungsfachzeitschrift Landscape and Urban Planning veröffentlichten, feststellen. Ausgehend von einer Studie mit einer Stichprobe von rund 3000 Befragten, die der Kanton Zürich und das Forschungsbüro Anovum 2013 erhoben, ergibt sich folgendes Bild: Während 57,5 Prozent der Befragten Verdichtung als übergeordnete Planungsstrategie grundsätzlich unterstützen, akzeptieren sie nur 11,9 Prozent in der eigenen Nachbarschaft. Zugleich zeigt sich im Kanton Zürich, dass die meisten Personen, die ein konkretes Verdichtungsprojekt in ihrer Nähe ablehnen, trotzdem Verdichtung als übergeordnetes Ziel der Stadtentwicklung befürworten.

In Städten sind die Wohnkosten entscheidend

Für den Kanton Zürich haben die ETH-Forschenden aufgezeigt, dass die Akzeptanz von Wohnverdichtungsprojekten je nach Art der Wohngegend und der Nachbarschaft anders ausfällt: in Gebieten am Agglomerationsrand und in Einfamilienhausvierteln ist die Akzeptanz gegenüber Wohnverdichtung grundsätzlich geringer als in Stadtquartieren, weil die Betroffenen oft negative Auswirkungen auf den Wert des Wohneigentums, Privatsphäre und Grünräume erwarten. In städtischen Quartieren ist die Verdichtungsakzeptanz grundsätzlich höher. Hier hängt die Einstellung stärker von der Höhe der Wohnkosten und der Mieten ab. Zudem spielt wohl eine Rolle, dass Wohnverdichtung oft in Stadtteilen stattfindet, wo ältere Wohnbauten sowie preisgünstige Wohnungen stehen und sich die Bevölkerung fragt, ob die Mietkosten künftig über das bislang quartierübliche Niveau ansteigen werden.

Die Zürcher Ergebnisse haben die ETH-Forschen nun in dem internationalen Städtevergleich zwischen Berlin, Paris, London, New York, Chicago und Los Angeles erweitert. In dieser Studie konzentrierten sie sich auf die Stadtbevölkerung und schälten dafür stärker heraus, welche Massnahmen auf Projektebene und bei den Planungsinstrumenten die Akzeptanz erhöhen können.

Dabei zeigt sich die Schlüsselrolle des bezahlbaren Wohnraums auf die Verdichtungsakzeptanz und die Umsetzung von Stadtentwicklungsprojekten: «Die Akzeptanz nimmt zu, wenn ein Projekt eine gemischte Nutzung mit Wohnungen und Gewerbe vorsieht und klimaneutral ist», erklärt Kaufmann, «umgekehrt stossen Projekte mit rein gewinnorientierten Investoren auf mehr Widerstand.» Zusätzlich hat Kaufmanns Team – zum ersten Mal in der Stadtentwicklungsforschung – systematisch die Wirkung von drei Planungsinstrumenten untersucht, die bei Wohnverdichtungsprojekten eingesetzt werden:

  1. prozentualer Anteil an preisgünstigen Wohnungen in einem Verdichtungsprojekt,
  2. Mietpreiskontrolle oder -begrenzung (in Berlin «Mietendeckel» genannt) und
  3. partizipative Planung und Einbindung der anwohnenden Bevölkerung.

In allen sechs Metropolen zeigt sich, dass ein festgelegter Anteil an – für niedere Einkommen – bezahlbaren Wohnungen, Mietpreiskontrolle («Mieterschutz») und Partizipation die Akzeptanz erhöhen: «Wohnverdichtungsprojekte, die bezahlbaren Wohnraum in Städten bereitstellen, sind breiter akzeptiert, da sie dazu beitragen, die wahrgenommenen negativen Folgen der Verdichtung abzumildern», sagt Kaufmann. Besonders interessant ist, dass sowohl die Mietpreiskontrolle, die durchaus auch eigennützige Gründe haben könnte, als auch der festgelegte Anteil von preisgünstigem Wohnraum für Personen mit niedrigem Einkommen akzeptanzsteigernd wirken. Daraus lässt sich folgern, dass preisgünstiger Wohnungsbau wichtig für die Meinungsbildung der Bevölkerung ist, und zwar unabhängig davon, ob jemand direkt davon profitiert oder nicht.

Berlin und London am verdichtungsskeptischsten

In den stärker markt- als regulierungsorientierten US-amerikanischen Städten New York, Chicago und Los Angeles ist die Verdichtungsakzeptanz höher als in Paris, London und Berlin. Entsprechend beeinflussen Begleitmassnahmen wie bezahlbare Wohnungen die Bevölkerung in US-Städten weniger. Am wenigsten akzeptiert ist Verdichtung in Berlin und London, was in der deutschen Hauptstadt mit der Debatte um die «Mietendeckel» zu tun haben könnte. In Englands Hauptstadt dreht sich die Debatte wohl eher darum, welchen Bevölkerungsgruppen die internationalen Investitionen in den Wohnungsmarkt tatsächlich nützen.

In den nächsten Schritten wird David Kaufmanns Forschungsgruppe in dem vom Schweizerischen Nationalfonds SNF unterstützten Projekt «Densifying Switzerland» die Verdichtungsakzeptanz in der ganzen Schweiz untersuchen. Dabei wertet sie unter anderem die Mietpreisentwicklung und alle lokalen Raumplanungs-Abstimmungen der letzten 20 Jahre aus, um herauszudestillieren, wie ökonomische, gesellschaftliche und politische Faktoren die Verdichtungsakzeptanz beeinflussen.

Literaturhinweis

Wicki M, Hofer K, Kaufmann D. Acceptance of densification in six metropolises. Evidence from a combined survey experiment. In: Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) 119 (38) e2201780119, 12 September 2022. doi: 10.1073/pnas.2201780119.

Wicki M, Kaufmann D. Accepting and resisting densification: The importance of project-related factors and the contextualizing role of neighbourhoods. In: Landscape and Urban Planning, Volume 220, April 2022, 104350, doi: 10.1016/j.landurbplan.2021.104350.