Mit Kupfer und Grips das Schweizer Stromnetz stärken
In Kürze
- Das Schweizer Stromnetz ist schon heute stark, muss aber noch stärker und schlauer werden, damit es den schwankenden Strom von erneuerbaren Energien integrieren kann.
- Der dezentrale Ausbau der Fotovoltaik gilt als wichtigster Treiber des Netzausbaus.
- Es braucht sowohl Investitionen in den physischen Netzausbau als auch in neue Konzepte zur Steuerung.
Die Schweiz hat in den vergangenen Monaten wichtige energiepolitische Weichen gestellt. Seitdem das Stimmvolk im Sommer 2023 mit dem Klimaschutzgesetz die Abkehr von fossilen Energieträgern deutlich angenommen und dieses Jahr auch das Stromgesetz für den raschen Ausbau erneuerbarer Energien klar bestätigt haben, ist das Netto-Null-Ziel nun auch gesetzlich verankert: Die Schweiz soll bis spätestens 2050 keine zusätzlichen Treibhausgase mehr verursachen.
Dazu muss sie Verkehr und Heizungen elektrifizieren, den Ausstieg aus der Kernkraft kompensieren und den steigenden Strombedarf mit Wasserkraft, Fotovoltaik und Windkraft decken. Die Energiezukunft wird also auch hierzulande klimaneutral, erneuerbar und elektrisch sein.
Keine Energiewende ohne starkes Stromnetz
Setzt die Schweiz vermehrt auf Fotovoltaik und Wind, muss das Netz die schwankende Produktion der Erneuerbaren zu jedem Zeitpunkt ausgleichen und auf die Nachfrage abstimmen. Dafür sind die bestehenden Netze aber noch nicht optimal ausgelegt. Fehlende Netzkapazitäten führen sonst rasch zu Engpässen.
«Deshalb müssen unserer Netze mit dem Zuwachs der Erneuerbaren aus- und umgebaut werden», sagt Christian Schaffner, Leiter des Energy Science Center (ESC) der ETH Zürich. Ohne ein starkes und flexibles Netz lässt sich Strom aus Erneuerbaren nicht effizient einbinden. «Das macht einen Aus- und Umbau des Stromnetzes unumgänglich», hält Schaffner fest.
Wie gut ist also das Schweizer Stromnetz für die Energiewende gewappnet? Die Frage geht zunächst an Gabriela Hug. Sie ist Professorin für elektrische Energiesysteme an der ETH Zürich und steht dem Energy Science Center (ESC) vor. «Hier müssen wir zwischen dem Übertragungsnetz und den Verteilnetzen in der Schweiz unterscheiden», sagt Hug.
Gut vernetzt mit Nachbarn
Als Transitland für Strom besitzt die Schweiz ein starkes Übertragungsnetz, für das Swissgrid zuständig ist. Auf dieser höchsten Netzebene mit den Höchstspannungsleitungen ist das Land sehr gut mit den Nachbarländern vernetzt und in den europäischen Handel eingebunden. Mit den geplanten Spannungserhöhungen werden kritische Leitungen gestärkt.
Etwa zwei Drittel des insgesamt 6700 Kilometer umfassenden Übertragungsnetzes sind heute zwischen 50 und 80 Jahre alt und müssen in den kommenden Jahren ersetzt werden.
Handlungsbedarf verortet Hug aber vor allem in den unteren Netzebenen ab. «Dezentral produzierter Sonnenstrom vom Hausdach und das Elektromobil in der Garage beanspruchen vor allem die lokalen Niederspannungsnetze», sagt die Stromnetz-Spezialistin.
«Unsere Analysen von mehr als 60 Versorgungsgebieten haben gezeigt, dass im Aus- und Umbau des Verteilnetzes am meisten Handlungsbedarf besteht, allerdings in sehr unterschiedlichem Ausmass», bestätigt Demiray. Das hange mitunter von der Typologie der Netze ab, also ob sie städtische, ländliche oder Peri-urbane Gebiete abdecken, aber auch vom individuellen Ausbaustandard, was pauschale Aussagen erschwere.
Die Energiewende findet im Verteilnetz statt
Die meisten Fotovoltaikanlagen und Wärmepumpen sowie alle Elektroautos werden auf den untersten Netzebenen betrieben, dem Niederspannungs- oder Verteilnetz (220 bis 400 V). Nur: Diese Netze wurden nicht für eine dynamisch-dezentrale Strom-Einspeisung ausgelegt.
Dennoch verbinden Verteilnetze nun immer öfter Erzeugungsanlagen mit leistungsstarken Verbrauchern und speisen immer grössere Stromflüsse ein und aus. Wird viel Fotovoltaikstrom erzeugt, kommt es lokal zu Überspannung, während ein höherer Lastverbrauch durch Wärmepumpen und Elektroautos zu Unterspannung führt. In beiden Fällen können lokale Überlastungen im Netz entstehen. Und das kostet.
Das Problem kennt Turhan Hilmi Demiray nur zu gut. Er leitet die Forschungsstelle Energienetze (FEN), die sich am ESC dezidiert mit Fragestellungen aus dem hiesigen Energiesektor befasst. Diesen Sommer hat Demiray für den Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen eine Studie zum Aus- und Umbaubedarf der Verteilnetze mitverfasst.
Flexibilität vermeidet Netzausbau
«Wir haben zurzeit sehr viele Projekte mit Verteilnetzbetreibern. Und alle wollen wissen, wie sie ihre Netze kosteneffizient für die Zukunft planen sollen», sagt Demiray. Es gibt zwei Ansätze zur Netzverstärkung: Kupfer und Grips.
Kupfer steht für den traditionellen Netzausbau: Wie früher neue Leitungen in den Boden legen, Verkabelung und Transformatoren verstärken. Das ist teuer, aber effektiv und manchmal unumgänglich. Netzbetreiber orientieren sich oft an der maximalen Last und überdimensionieren physischen Projekte – das verteuert den Netzausbau zusätzlich.
Grips steht für Intelligenz und Flexibilitäten: Hier spielen Digitalisierung und smarte Konzepte zur Steuerung der Stromflüsse eine entscheidende Rolle. Begrenzte Einspeisung der Fotovoltaik und reduzierte Lastspitzen von Wärmepumpen und Elektrofahrzeugen kombiniert mit netzdienlichen Heimbatterien sorgen für Flexibilität. Das stabilisiert das Stromnetz und senkt die Ausbaukosten substanziell.
Begehrte Quellen für Flexibilität
Das Prinzip gilt jedoch für das gesamte Stromnetz: Wenn die Produktion hier typischerweise von minütlich bis saisonal schwankt, muss das Netz entsprechend auf diesen Zeitskalen flexibler werden.
Demiray führt aus: «Batterien, Pumpspeicher, alpine Speicherseen und saisonale Wärmespeicher für den Winter sind dann ideale Ausgleichsmittel. Aber auch Smart-Grid-Ansätze für intelligente Netz- und Verbrauchssteuerung und eine volle Integration der Schweiz in den europäischen Strommarkt sind essenzielle Ressourcen, die entlasten», sagt der Stromnetz-Spezialist.
In einer viel beachteten Studie im Auftrag des Bundes untersuchte die Forschungsstelle Energienetze 2022 die Versorgungssicherheit im Strombereich in der Schweiz und Europa. Die Analyse zeigte, dass für die Schweizer Versorgungssicherheit drei Aspekte entscheidend sind: Die flexible Stromproduktion der Wasserkraft, der Stromhandel (Import im Winter), sowie das sehr gut integrierte Stromnetz mit Europa. «Das sind sehr wertvolle Flexibilitätsquellen», sagt Demiray.
Im BFE-Förderprojekt Sweet-Pathfindr suchen ETH-Forschende des ESC gemeinsam mit Versorgungsunternehmen und Gemeinden nach Wegen, um Flexibilitätsoptionen, Digitalisierung und Sektorkoppelung optimal zu nutzen.
In diesem Rahmen gehen sie beispielsweise auch der Frage nach, inwiefern die E-Mobilität zur Flexibilität des Schweizer Stromnetzes beitragen könnte – etwa, wenn E-Autos dann geladen werden, wenn ausreichend Strom vorhanden ist. Dynamische Strompreise könnten helfen, die richtigen Anreize zu setzen.
Das Stromnetz braucht beides: Kupfer und Grips
Demiray fasst zusammen: «Je smarter und flexibler das Stromnetz, desto besser kann es Spitzen aus Sonne, Wasser und Wind auszubalancieren, und desto weniger physischen Netzausbau braucht es.»
Ganz ersetzen kann man den Ausbau aber nicht. «Selbst wenn wir alle Flexibilitäten nutzen, wird es immer Ausbaubedarf geben», hält Hug schmunzelnd fest.
«Das Schweizer Stromnetz an sich ist gut geeignet für die Zukunft. Aber es braucht Investitionen sowohl in den physischen Netzausbau als auch in neue Konzepte zur Steuerung», schliesst Schaffner. Kupfer und Grips – beides ist wichtig.