«Versachlichung würde extrem helfen»
Herr Schmidt, Sie leiten am PSI den Forschungsbereich Energie und Umwelt, Herr Pautz, Sie stehen dem Bereich Nukleare Energie und Sicherheit vor. Was unterscheidet Ihre Forschung, was hat sie gemein?
Thomas J. Schmidt: Der Bereich Energie und Umwelt erforscht die Gewinnung von Energie aus erneuerbaren Quellen, deren Umwandlung, Speicherung und die Frage, welche Konsequenzen die Nutzung der Energie durch den Menschen auf Umwelt und Atmosphäre hat. Mit der Nuklearenergie beschäftigen wir uns hingegen nicht.
Andreas Pautz: Das ist unser Spezialgebiet. Gemeinsamkeit ist, dass wir beide immer im Kontext zur Energiestrategie 2050 der Schweiz arbeiten. Wir haben beide in dieser Übergangsphase wichtige Aufgaben zu erfüllen, der Bereich Energie und Umwelt auf der Seite der Erneuerbaren und wir bei der Frage, wie man die Kernkraftwerke in der Schweiz sicher bis in die 2040er-Jahre – und möglicherweise sogar weit darüber hinaus – betreibt und wie man schliesslich die radioaktiven Abfälle entsorgt. Wir leisten unseren Beitrag dazu, dass das unter maximaler Sicherheit geschieht und wir unserer Nachwelt möglichst wenige Altlasten hinterlassen.
Das heisst, Sie beide sehen sich nicht als Gegenspieler, indem Sie unterschiedliche Energiequellen vertreten?
Schmidt: Nein. Wir arbeiten eng zusammen und müssen dabei die Zeitskalen im Auge behalten, wenn eine Technologie potenziell durch eine andere abgelöst wird.
Pautz: Richtig, es geht um das optimale Zusammenspiel mit dem Ziel, mögliche Umweltbelastungen weitestgehend zu vermeiden und Kosten zu minimieren. Wir sehen das aus wissenschaftlicher Perspektive; das ist keine politische Diskussion, die wir führen. Mit dem Beschluss, die Laufzeit der bestehenden Kernkraftwerke nicht zu begrenzen, sind diese zu einem Teil der Energiestrategie geworden. Es gibt in der Schweiz übrigens keinen anderen Forschungsstandort, an dem so viel Energieforschung betrieben wird wie am PSI, also mit so vielen Mitarbeitenden auf einem so engen räumlichen Umfeld.
Arbeiten Sie auch an gemeinsamen Projekten?
Pautz: Sicher, beispielsweise im Projekt SURE. Dabei untersuchen wir, wie wir in den nächsten Jahren eine sichere und resiliente Energieversorgung für die Schweiz aufbauen können. Das umfasst viel mehr als nur eine CO2-Minimierung, sondern auch Aspekte wie Versorgungssicherheit, Netzstabilität und die Abwehr von externen und internen Gefahren.
Schmidt: Wir betreiben diese Forschung in einem gemeinsamen PSI-Labor, dem Labor für Energiesystem-Analysen. Das ist spezialisiert auf solche ganzheitlichen Betrachtungen des kompletten Energiesystems. Transport, Industrie, Privathaushalte, Stromerzeugung, das fliesst dort alles zusammen.
Brauchen Diskussionen über die Energiewende und darüber, wie wir sie bewerkstelligen können, mehr wissenschaftliche Objektivität?
Pautz: Versachlichung der Energiedebatte würde extrem helfen. Man sollte einfach schlau abwägen angesichts der Tatsachen, die wir heute haben, beispielsweise bezüglich Klima oder Versorgungssicherheit. Es muss ein evaluierender Denkprozess zustande kommen.
Schmidt: Das zeigt auch, wie wichtig der holistische Ansatz ist, den wir am PSI verfolgen, um das Energiesystem als Ganzes zu verstehen. Dieser Ansatz wird nicht an vielen Orten auf der Welt verfolgt.
Haben Sie eigentlich Schwierigkeiten, in Ihrem Bereich Nachwuchs zu finden?
Schmidt: Nein. Es hilft, dass wir sehr international aufgestellt sind. In dem Bereich Energie und Umwelt arbeiten Menschen aus etwa 45 Nationen.
Pautz: Das kann ich auch für meinen Bereich bestätigen, auch wenn es tatsächlich immer weniger Schweizerinnen und Schweizer werden. Aber wir haben international einen sehr guten Ruf – und daher genug Nachfrage. Gemeinsam mit der EPFL und der ETH Zürich bieten wir zum Beispiel den Masterstudiengang Nuclear Engineering an. Den beginnen jedes Jahr im Schnitt um die 15 neue Studierende, dieses Jahr sogar über 20. Das zeigt, dass Kernenergie international kein Auslaufmodell ist.
Hören Sie oft den Vorwurf: «Die Schweiz will doch aus der Kernenergie aussteigen, warum forscht das PSI dann noch daran?»
Pautz: Kaum. Dass man Fachleute für mindestens die nächsten 25 Jahre benötigt, ist unbestritten, alleine schon für die Entsorgungsproblematik. Die Notwendigkeit, die nuklearen Kompetenzen in der Schweiz zu erhalten, wird auch politisch kaum noch infrage gestellt. Die Schweiz soll in puncto Kerntechnik auch weiterhin international mitreden können und über tiefgehendes kerntechnisches Know-how verfügen.
Was hat sich in den letzten Jahren in Ihrem Forschungsbereich verändert und was erwarten Sie für die Zukunft?
Schmidt: Wir haben unter anderem unsere Aktivitäten bei der Verbrennungsforschung reduziert. Das war zwar ein wichtiges Thema, ist aber nicht mehr zukunftsorientiert. Dafür haben wir andere Themen aufgenommen, etwa die Wasserstofferzeugung. Wichtiger geworden ist auch die Frage, wie sich die Energienutzung auf unsere Umgebung auswirkt. Zum Beispiel: Welchen Einfluss haben Aerosole auf die Atmosphäre und die menschliche Gesundheit?
Pautz: Bei uns steht der Langzeitbetrieb der Kernanlagen auf der Agenda sowie die Endlagerung und der Rückbau der Anlagen. Seit klar ist, dass die Schweiz aus der Kernenergie aussteigen wird, haben wir Aktivitäten eingestellt, die für Anlagenneubauten in der Schweiz nötig gewesen wären, zum Beispiel die Entwicklung von neuen Brennstoffen. Untersuchungen zu neuen Sicherheitssystemen beobachten wir nur noch am Rande. Was ich in Zukunft gerne vorantreiben würde, ist eine verstärkte Internationalisierung bei den Industrie- und Forschungskooperationen. Die internationale Ausstrahlung, die die Kernenergieforschung am PSI hat, wollen wir weiter ausspielen.