Der Bodensee im Wandel
Piet Spaak, wie hat sich die Biodiversität im Bodensee verändert?
In den letzten hundert Jahren gab es sehr starke Veränderungen. Das liegt daran, dass der See im Zeitraum von 1950 bis 1980 stark mit Nährstoffen aus der Landwirtschaft und häuslichem Abwasser verschmutzt wurde (Eutrophierung). Dadurch kam es zu einer höheren Produktivität des Sees, das heisst mehr Algen, mehr Zooplankton, mehr Fische. Aber es gab auch Verschiebungen bei der Artzusammensetzung: So traten vermehrt Cyanobakterien auf und beim Plankton hat die Wasserflohart Daphnia galeata die Art Daphnia longispina teilweise verdrängt. Letzteres konnten wir nachweisen, in dem wir Sedimentschichten untersucht haben, in denen sich die Dauerstadien dieser Arten nachweisen lassen – auch 100 Jahre später noch.
Mithilfe von Umwelt-DNA (eDNA) konnte man auch die mikrobielle Diversität über die letzten 100 Jahre rekonstruieren. Diese Analysen zeigen, dass die Diversität bei den Mikroben ab 1930 stetig abnahm, auf dem Höhepunkt der Verschmutzung den tiefsten Wert erreichte und dann wieder anstieg, nachdem man in den 1980er-Jahren damit begonnen hatte, den See wieder in einen nährstoffärmeren Zustand zurückzuversetzen (Oligothrophierung).
Wie sieht die Situation bei den Fischen aus?
Weil genügend Nährstoffe im See vorhanden waren, gab es während der Verschmutzung auch ein sehr grosses Planktonangebot. Davon profitierten die Fische, die so schneller wachsen konnten. Am besten untersucht ist dies bei den Blaufelchen: Die Fische wurden dadurch teilweise nur zwei Jahre alt bevor sie «fangbar» waren – dabei liegt das mittlere Alter normalerweise bei über drei Jahren. Dies hat sich mit der Oligothrophierung wieder umgekehrt: Jetzt werden wieder 7-8-jährige Fische im Bodensee gefangen.
Auch die Zusammensetzung der Fischarten hat sich geändert, wie wir anhand von historischen Fängen sowie von zwei grossen Befischungskampagnen (Project Lac 2014, und SeeWandel 2019) aufzeigen können. Es zeigte sich, dass der Stichling jetzt viel häufiger vorkommt. 70 bis 90 Prozent der Fische im Freiwasser sind Stichlinge. Im Gegensatz zu den typischen heimischen Stichlingen, die eher klein sind, im Uferbereich und in Flüssen leben, wo sie sich von Bodentieren ernähren, sind diese Bodensee-Stichlinge sehr gross und an das Leben im Freiwasser angepasst. Mit genetischen Untersuchungen konnten wir nachweisen, dass sie Merkmale von marinen Stichlingen aus dem Baltikum aufweisen – wahrscheinlich sind solche einmal in den Bodensee eingeschleppt worden und haben sich mit einheimischen Arten vermischt. Diese Stichlinge sind auch eine Bedrohung für die Felchen-Arten im Bodensee, denn sie fressen die gleichen Zooplanktonarten wie Felchen. Auch fressen sie Felchenlarven.
Welche Rolle spielten invasive Arten?
Seit 1880 sind 37 gebietsfremde Arten durch den Menschen in den Bodensee eingeschleppt worden. Es handelt sich um Pflanzen, Kieselalgen, wirbellose Kleintiere und Fischarten. Einige haben sich sehr stark ausgebreitet und teilweise heimische Arten verdrängt. Den Stichling habe ich schon erwähnt, aber auch invasive Muscheln verursachen Probleme. In den 1960er Jahren hat sich etwa die Dreikantmuschel (Dreissena polymorpha) im Bodensee und in anderen Schweizer Gewässern verbreitet, man findet sie überall auf harten Untergründen: typischerweise auf Steinen, aber auch auf Booten und Rohren. Eine verwandte Art, die Quaggamuschel (Dreissena rostriformis bugensis), ist seit 2015 in der Schweiz und seit 2016 im Bodensee zu finden. Weil sie das Wasser so effizient filtriert und viele Nährstoffe bindet, stehen dadurch weniger Algen und Nährstoffe für andere Seebewohner zur Verfügung. Das ist ein Problem.Was bedeuten diese Veränderungen für die Nutzung des Bodensees?
Diese Veränderungen haben für den Bodensee positive wie auch negative Folgen. Positiv ist sicher, dass die Wasserqualität des Sees durch invasive Arten nicht gefährdet ist. Das Wasser ist sogar eher klarer geworden, es eignet sich gut zum Schwimmen und Tauchen und auch die Trinkwasserqualität ist hervorragend.
Es überwiegen jedoch wohl die negativen Folgen: Quaggamuscheln wachsen auf allem, so auch in den Ansaugrohren der Wassergewinnungsanlagen, die dadurch verstopft werden können. Dies zwingt Wasserversorger zum Neubau von Anlagen, welche eine automatische Quagga-Reinigungsanlage enthalten. Diese Investitionen werden hunderte von Millionen Euro kosten.
Auch befürchte ich, dass die Fischfänge im Bodensee weiter zurückgehen werden. Die Quaggamuschel verringert generell die Produktivität des Sees, indem sie die Algen aus dem Wasser filtert. Und der Stichling trägt ebenfalls dazu bei, dass das ohnehin nur noch wenig vorhandene Plankton, das noch als Fischnahrung zur Verfügung steht, nicht für jene Fische zur Verfügung steht, die für die Fischerei interessant sind, zum Beispiel für Felchen. Leider werden Quaggamuscheln und Stichlinge kaum von Fischen im Bodensee gefressen.
Gibt es Bestrebungen, etwas gegen die Dominanz von Quaggamuscheln und Stichlingen zu unternehmen?
Das ist schwierig. Tauchenten lieben zwar die Dreissena-Muscheln, können aber leider die Quaggamuschel-Population unmöglich in Schach halten. Daher können wir im Augenblick nicht viel mehr machen als die Situation genau zu untersuchen und zu dokumentieren. Gerade haben wir etwa eine zweijährige Monitoring-Kampagne gestartet, um die Quaggamuschel auf allen Tiefen im See zu verfolgen. So möchten wir herausfinden, ob sie sich bei uns auch so schnell verbreitet, wie man es aus den nordamerikanischen Seen kennt. So können wir uns wenigstens auf das vorbereiten, was uns erwartet.
Wie wird die biologische Vielfalt im Bodensee gefördert?
Trotz den erwähnten Punkten gibt es auch viel Positives über den Bodensee zu sagen. Er ist ein wichtiger aquatischer Lebensraum für zahlreiche Arten. Im Rheindelta wurden bis heute 330 Vogelarten beobachtet und der See ist ein wichtiger Ruheplatz für Wasservögel. Rund um den See gibt es auch verschiedene Naturschutzgebiete und immer wieder Bestrebungen verbaute Ufer zu renaturieren, um mehr Habitate für Ufertiere und Pflanzen zu schaffen.