Insektizide können das Verhalten von Fischen beeinflussen
Insektizide haben einen schlechten Ruf. Die meisten wurden designt, um das Nervensystem von Schädlingen im Obst- und Ackerbau – wie etwa der Blattlaus – anzugreifen, machen aber oft auch vor dem Nervensystem anderer Organismen nicht Halt. Dazu gehören Bienen, Wasserinsekten und Wirbeltiere, wie Fische – oder der Mensch. Teilweise geschieht dies bereits in sehr geringen Konzentrationen. «Viele grundlegende Aspekte des Nervensystems haben sich im Lauf der Evolution nur wenig verändert», erklärt die Ökotoxikologin Sarah Könemann, die die Wirkung von Insektiziden in ihrer Doktorarbeit am Wasserforschungsinstitut Eawag und an der EPFL erforscht hat. Gewisse Insektizide greifen zum Beispiel bestimmte Moleküle im Nervensystem von Insekten an – aber fast genau die gleichen Moleküle besitzen auch wir in unserem Nervensystem. Deshalb können die Insektizide auch einen Einfluss auf den Menschen haben.
Die Konzentrationen, in denen Insektizide in der Umwelt vorkommen, sind meist nicht hoch genug, um akut toxisch – also tödlich – auf Wirbeltiere zu wirken. «Zwischen tödlicher Wirkung und keiner Wirkung ist jedoch ein sehr breites Feld», erklärt Könemann. «Hier wollte ich genauer hinsehen.»
Fische riechen bestimmte Insektizide
Die Forscherin untersuchte deshalb, wie sich sechs verbreitete Insektizide auf die Bewegungsmuster und die neuronale Aktivität im Gehirn von Zebrafischlarven auswirken. Sie fand heraus, dass die Fische die beiden Insektizide Imidacloprid und Diazinon als Stress wahrnahmen, wenn sie kurze Zeit einer hohen Konzentration davon ausgesetzt waren. Und: Könemann konnte nachweisen, dass die Fischlarven diese Insektizide gerochen haben und die Substanzen in der Folge mieden. «Auf den ersten Blick erscheint das als ein sinnvolles Verhalten», so die Forscherin. «Sie fliehen vor dem Insektizid und verhindern dadurch chronische Schäden.»
Allerdings kann eine derartige Verhaltensänderung auch negative Konsequenzen haben – zum Beispiel, wenn die Fische dadurch gewisse Lebensräume meiden. Dies kann dazu führen, dass sie nicht mehr ausreichend Geschlechtspartner finden oder Gebiete mit besonders reichem Futterangebot aufgeben. «Diese Effekte könnten daher ein weiterer Faktor sein, der sich negativ auf die Fischpopulationen auswirkt, die bereits durch andere Stressfaktoren beeinträchtigt sind.»
Verhaltensänderung auf Knopfdruck
In ihrer Doktorarbeit hat sich Sarah Könemann auch das sich entwickelnde Nervensystem von Zebrafisch-Embryos angeschaut. «Wir hatten erwartet, dass bestimmte Insektizide gerade in dieser sensiblen Entwicklungsphase, wenn sich das Nervensystem ausbildet, einen besonders starken Einfluss haben würden», erklärt die Forscherin. Und tatsächlich konnte sie auch hier bei drei Vierteln der untersuchten Substanzen einen Effekt auf das Verhalten der Fische nachweisen: Die Larven bewegten sich weniger als Kontrollarven.
Könemann identifizierte auch strukturelle Veränderungen an den Muskelfasern sowie am peripheren Nervensystem, die das veränderten Bewegungsmuster erklären können. Was sie aber überraschte: Die meisten dieser Effekte waren (mit Ausnahme der Effekte durch Pirimicarb) reversibel, wenn die Larven dem Insektizid nicht mehr ausgesetzt waren. Das heisst: «Wir konnten die meisten Verhaltenseffekte und auch die strukturellen Veränderungen innert 72 Stunden rückgängig machen.»
Bedeutung für die Zulassung von Insektiziden
Könemanns Untersuchungen zeigten zudem, dass neuere Insektizide, die gezielt entwickelt wurden, um nur auf ein bestimmtes Organ zu wirken, das nur Insekten haben, auch keine weitreichenden Einflüsse auf das untersuchte Verhalten der Fische haben. Das gilt zum Beispiel für Pymetrozin und Flonicamid. «Das zeigt uns, dass man die Belastung für Wirbeltiere in der Umwelt reduzieren kann, wenn man Substanzen so entwickelt, dass sie spezifischer auf die Zielorganismen wirken», so Könemann.
Sie plädiert dafür, bei der Evaluation und Zulassung von Insektiziden nicht nur zu berücksichtigen, ob diese irgendwann zum Tod der Versuchstiere führen, sondern auch zu schauen, ob der Einsatz – schon bei viel geringeren Konzentrationen – Verhaltensänderungen nach sich zieht. «Da tut sich im Bereich der ökotoxikologischen Forschung derzeit viel, insbesondere bei der Entwicklung von Tests, mit denen die Wirkung von Insektiziden oder anderen Chemikalien auf das sich entwickelnde Nervensystem von Wirbeltieren bestimmt werden kann», sagt Könemann.
Allerdings: «Einfach nur zu untersuchen, ob eine Substanz das Verhalten der Tiere beeinflusst, reicht meiner Meinung nach nicht aus, um die Bedeutung eines solchen Effekts einordnen zu können. Ich empfehle, auch genau hinzuschauen, welche Mechanismen es sind, die zu den Verhaltensänderungen führen und wie gross das Potenzial der Organismen ist, sich wieder zu erholen.»
Prämierte Forschung
Um zu neuen Einsichten zu kommen, lohnt es sich, über den Tellerrand zu schauen. In ihrer Doktorarbeit hat Sarah Könemann etablierte Methoden aus den Neurowissenschaften in einen ökotoxikologischen Kontext gebracht und wurde für diese detaillierte und interdisziplinäre Arbeit 2022 mit dem Rifcon Early Career Scientist Award der weltweit aktiven Gesellschaft für Umwelttoxikologie und Umweltchemie (SETAC) ausgezeichnet.
Warum findet man problematische Insektizide in den Gewässern?
Insektizide sind in der Schweiz vor allem als Pflanzenschutzmittel und Biozide zugelassen. Sie werden hauptsächlich in der Landwirtschaft, aber auch im Siedlungsraum, in der Lebensmittel- und Futtermittelindustrie und in der Forstwirtschaft eingesetzt. In die Gewässer gelangen sie meistens durch die Luft und über den Abfluss bei Regen. Obwohl in den letzten Jahren die Ansprüche für die Zulassung von Insektiziden gestiegen sind und zahlreiche Substanzen verboten wurden, findet man sie dennoch weiterhin in der Umwelt. Dies ist insofern überraschend, als die häufigsten Insektizide in der Natur relativ schnell abgebaut werden. «Dass wir sie in der Schweiz – zwar in extrem geringen Mengen von wenigen Piko- bis Nanogramm pro Liter, aber dennoch – in der Umwelt nachweisen können, bedeutet, dass sie trotz der Verbote stets neu eingebracht werden», sagt Ökotoxikologin Sarah Könemann. Möglich machen dies Notfallzulassungen oder der Einsatz als Biozide in Ställen, welcher im Gegensatz zum Einsatz der gleichen Substanzen auf dem Feld nicht verboten ist.