Spielend gegen Demenz
Die Diagnose Demenz stellt sowohl das Leben der Betroffenen als auch jenes der Angehörigen auf den Kopf: Schleichend lassen die Hirnfunktionen nach. Die Betroffenen verlieren die Fähigkeit zu planen, sich zu erinnern, oder sich angemessen zu verhalten. Gleichzeitig bauen sie auch motorisch ab. Am Ende sind Demenzerkrankte nicht mehr in der Lage, ihren Alltag alleine zu bewältigen und müssen umfassend gepflegt werden. In der Schweiz allein teilen über 150'000 Personen dieses Schicksal, und jedes Jahr kommen rund 30'000 Neuerkrankungen hinzu.
Bis anhin sind alle Versuche ein Medikament gegen die Krankheit zu finden gescheitert. Demenz und Alzheimer – die häufigste unter mehreren Demenzformen – sind weiterhin nicht heilbar. Doch eine klinische Studie, die unter Beteiligung von ETH-Forscher Eling de Bruin in Belgien durchgeführt wurde, zeigt nun erstmals, dass kognitiv-motorisches Training sowohl die kognitiven als auch die physischen Fähigkeiten von stark beeinträchtigten Demenzpatienten verbessert. Für die Studie kam ein vom ETH Spin-off «Dividat» entwickeltes Fitnessspiel, auch «Excergame» genannt, zum Einsatz.
Bessere kognitive Leistungen durch Training
Ein Team von Wissenschaftlern rund um den ETH-Forscher Patrick Eggenberger wies bereits 2015 nach, dass ältere Menschen, die Körper und Geist simultan trainieren, bessere kognitive Leistungen erbringen und dadurch kognitiven Beeinträchtigungen vorbeugen können. Doch diese Studie wurde ausschliesslich mit gesunden Menschen durchgeführt.
«Es gibt schon seit längerem die Vermutung, dass sich körperliches und geistiges Training auch positiv auf Demenz auswirkt», erklärt de Bruin, der gemeinsam mit Eggenberger am Institut für Bewegungswissenschaften und Sport der ETH Zürich arbeitet. «Doch bis jetzt hat es sich als schwierig herausgestellt, Demenzerkrankte über längere Zeiträume für körperliche Aktivitäten zu motivieren.»
ETH Spin-off kombiniert Bewegung und Spass
Um dies zu ändern, gründete Eva van het Reve zusammen mit ihrem Doktorvater Eling de Bruin und einer weiteren Doktorandin 2013 das ETH Spin-off Dividat. «Wir wollten mit einem massgeschneiderten Trainingsprogramm das Leben älterer Menschen verbessern», sagt van het Reve. Mittels spielerischer Übungen sollten auch Menschen, die bereits physisch und kognitiv beeinträchtigt sind, zum Trainieren bewogen werden. So entstand die Trainingsplattfom Senso.
Diese Plattform besteht aus einem Bildschirm inklusive Spielesoftware und einer Bodenplatte mit vier Feldern, die Schritte, Gewichtsverlagerungen und die Balance misst. Die Nutzerinnen und Nutzer versuchen eine am Bildschirm vorgegebene Bewegungsabfolge mit ihren Füssen nachzuvollziehen. Dadurch trainieren sie körperliche Bewegungen und kognitive Funktionen gleichzeitig. Dass das Fitnessspiel den Probanden auch Spass macht, erleichtert die Motivation regelmässig zu üben.
Demenzkranke trainieren acht Wochen lang
Für die Studie rekrutierte ein internationales Team rund um Nathalie Swinnen, die an der Katholieke Universiteit Leuven doktoriert und von ETH-Forscher de Bruin betreut wird, 45 Probandinnen und Probanden. Diese leben in zwei belgischen Pflegeheimen, waren zum Zeitpunkt der Erhebung im Durchschnitt 85 Jahre alt und wiesen alle starke Demenzsymptome auf.
«Die Teilnehmenden wurden mittels Zufallsverfahren in zwei Gruppen aufgeteilt», erklärt Eling de Bruin das Studiendesign. «Die erste Gruppe trainierte über einen Zeitraum von acht Wochen drei Mal die Woche jeweils 15 Minuten mit dem Dividat Senso, während die zweite Gruppe Musikvideos ihrer Wahl hörte und schaute.» Nach dem achtwöchigen Trainingsprogramm wurde bei allen Probanden die physische, kognitive und mentale Leistungsfähigkeit im Vergleich zum Studienanfang gemessen.
Regelmässiges Spielen wirkt
Die Ergebnisse können Demenzkranke und ihre Angehörige hoffnungsvoll stimmen: Das Training mit der Plattfom Senso stärkt tatsächlich kognitive Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Konzentration, Erinnerung oder Orientierung. «Es besteht erstmals die Hoffnung, dass wir durch gezieltes Spielen Demenzsymptome nicht nur verzögern, sondern auch abschwächen können», betont de Bruin.
Besonders bemerkenswert ist dabei, dass sich die Kontrollgruppe während der acht Wochen weiter verschlechtert hat, während bei der Trainingsgruppe deutliche Verbesserungen zu verzeichnen sind. «Das sind sehr ermutigende Ergebnisse, welche zudem im Einklang mit der Erwartung stehen, dass demenzkranke Patienten ohne Training eher abbauen», gibt de Bruin zu bedenken.
Doch das spielerische Training wirkt sich nicht nur positiv auf die kognitive Leistungsfähigkeit aus. Auch bei körperlichen Fähigkeiten wie beispielsweise der Reaktionszeit konnten die Forscher positive Effekte messen. So reagierten die Probanden der Trainingsgruppe bereits nach acht Woche deutlich schneller, während sich die Kontrollgruppe auch hier verschlechterte. Dies ist insofern erfreulich, als dass die Geschwindigkeit, mit der ältere Menschen auf Impulse reagieren, entscheidend dafür ist, ob sie einen Sturz verhindern können.
Prozesse im Gehirn besser verstehen
Die Forschungsgruppe von de Bruin arbeitet aktuell daran, die Ergebnisse dieser Pilotstudie bei Menschen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung – einer Vorstufe von Demenz – zu wiederholen. Dabei sollen mittels MRI-Aufnahmen auch die neuronalen Prozesse im Gehirn genauer erforscht werden, welche den beobachteten kognitiven und körperlichen Verbesserungen zu Grunde liegen.