Zermalmter Widerstand
Unsere Erdoberfläche besteht aus wenigen grossen und zahlreicheren kleinen Platten, die die sich fortlaufend und äusserst langsam voneinander weg oder aufeinander zu bewegen. An den Grenzen zweier Platten taucht die schwerere ozeanische unter die leichtere kontinentale Platte ab. Subduktion nennen die Fachleute diesen Vorgang. Schon lange rätseln sie, was dabei mit dem in den Erdmantel abtauchenden Plattenrand geschieht. Einige Wissenschaftler gingen davon aus, dass der subduzierende Plattenrand genauso starr und stark bleibt wie die Platte selbst und sich einfach nur verbiegt, aufgrund der Schwerkraft und mechanischer Wechselwirkungen mit dem Erdmantel.
Stark verformter Plattenrand
Modelle des Erdinnern, die Wissenschaftler mithilfe der sogenannten seismischen Tomografie erstellten, förderten jedoch Widersprüchliches zu Tage: im Westen der USA etwa erkannten die Forschenden auf den Tomografien in unterschiedlichen Tiefen Flecken. Diese wiesen darauf hin, dass die unter den amerikanischen Kontinent abgetauchten Plattenränder segmentiert sein könnten. Sie schlossen deshalb daraus, dass die Plattenränder im Mantel stark verformt sein müssen und mitnichten starr und unbeweglich sind.
Mit Computermodellen bestätigten andere Forschende, darunter ETH-Professor Paul Tackley, dass subduzierte Plattenränder tatsächlich schwach und verformbar sind. Und sie formulierten eine Hypothese, die sich auf einen einfachen Nenner bringen lässt: Platten an der Oberfläche sind starr und stark (sprich: nicht verformbar), die Ränder im Mantel hingegen weich und schwach.
Plausibler Mechanismus gesucht
«Bislang fehlte der Forschung jedoch ein plausibler Mechanismus, mit der sie erklären kann, wie diese Biegung zustande kommt und warum abtauchende Plattenränder weich und schwach werden», sagt Taras Gerya, Professor für Geophysik an der ETH Zürich.
Von Beobachtungen wussten die Forschenden, dass auf der Oberseite einer abtauchenden Platte, an der Nahtstelle zur anderen Platte, zahlreiche Verwerfungen zu finden sind. Durch diese Verwerfungen dringt Meerwasser in die Platte ein und wird durch Sogkräfte sogar regelrecht hineingesaugt. Das schwächt die Platte auf ihrer Oberseite. Dies allein reicht jedoch nicht, um die auf Tomografien beobachtete Segmentierung des Plattenrands – die Flecken – zu erklären. Es braucht einen weiteren Mechanismus, der auch die Unterseite des Plattenrands genügend schwächt, damit es zu einer Segmentierung kommt.
Gerya und seine amerikanischen Kollegen David Bercovici und Thorsten Becker vermuteten deshalb, dass durch die Kompression der Plattenunterseite in der Biegestelle relativ grosse und starke, millimetergrosse Olivin-Kristallkörner zermalmt werden. Diese gruppieren sich dann neu in viel schwächeren, nur noch mikrometergrossen Körner-Aggregaten – was den Widerstand bricht und die Verbiegung der Platte erlaubt.
Abtauchender Plattenrand wird in Segmente aufgeteilt
Mit einem neuen zweidimensionalen Computermodell, das diese Körnerverkleinerung als zentralen Mechanismus integriert hat, untersuchten die drei Forscher den Vorgang in silico. Die entsprechende Studie ist soeben in der Fachzeitschrift Nature erschienen.
Und tatsächlich: Die Simulationen ergaben, dass sich abtauchende Platten durch die massive Verkleinerung von Olivin-Körnern auf der Unterseite verformen und mit der Zeit in einzelne Segmente aufteilen. Die Segmente sind starr und steif, bleiben aber über schwache Scharniere aus gemahlenen Körnern miteinander verbunden. Auf der Plattenoberseite entstehen in den Simulationen an den Segmentgrenzen parallel angeordnete Risse. Darunter liegen die Zonen mit zerkleinerten Mineralienkörnern.
«Das kann man sich vorstellen, wie wenn man eine Tafel Schokolade zerbricht», erklärt Gerya. Auch eine Tafel Schokolade lasse sich nur entlang der vorgegebenen Schwachstellen in Segmente aufteilen. Die Schokoladentäfelchen sind starr, die Verbindungsstücke zwischen ihnen schwach. «Deshalb ist auch eine in den Erdmantel abtauchende Platte nicht einheitlich gebogen oder verformt, sondern segmentiert.»
Und so könnte es in Wirklichkeit ablaufen: Die schwerere Platte taucht unter die leichtere ab. Eine Schwachstelle mit kleineren Mineralienkörnern innerhalb der abtauchenden Platte lässt es zu, dass sich diese verbiegen kann. Durch den Biegedruck zerbröseln an weiteren Stellen auf der Unterseite die Mineralien. Die so entstehende Schwachstelle führt zum Bruch, ein Segment bildet sich aus. Der immer tiefer in den Mantel eintauchende Plattenrand führt dazu, dass sich an der Biegung weitere Segmente bilden. Dadurch gleicht der Plattenrand schliesslich einer Kette mit starren Gliedern und biegbaren Verbindungsstücken. In rund 600 Kilometer Tiefe gleitet der segmentierte Plattenrand auf einer sogenannten 670-Kilometer-Diskontinuität im Erdmantel auf und bewegt sich horizontal fort.
Hinweise aus der Natur stützen Simulation
«Der Ergebnisse unserer Simulationen stehen im Einklang mit Beobachtungen in der Natur», erklärt Gerya. Besonders gut erforscht ist die natürliche Situation entlang des Japan-Grabens, wo die pazifische Platte unter die Ochotsk-Platte abtaucht. Dort lässt sich genau jenes Muster an Verwerfungen finden, welches auch die Simulationen hervorbrachten.
Andere Forschende haben zudem die Geschwindigkeit von Erdbebenwellen entlang des abtauchenden Japan-Plattenrandes untersucht. Dazu nutzten sie ein vor kurzem entwickeltes, hochaufgelöstes Modell, das auf seismischer Tomografie dieser Zone beruht. Dabei fanden die Forschenden, dass die Geschwindigkeit von Erdbebenwellen an einigen Knotenpunkten innerhalb der abtauchenden Platte verringert ist. Das Muster, mit dem diese Knotenpunkte in der Realität auftreten, deckt sich mit dem der Segmentgrenzen aus den Simulationen. Verantwortlich für die geringere Geschwindigkeit der seismischen Wellen sind Zonen mit sehr kleinen, nur noch mikrometergrossen Kristallen, sowohl in der Natur als auch im Computermodell.
Diese winzigen Kristallkörner machen das Material der Plattenunterseite zudem weniger viskos, das heisst es wird dünnflüssiger. Auch dies konnten Forschende am Japan-Graben nachweisen. «Damit ist unser Modell sehr plausibel und liefert soliden physikalischen Hintergrund für die Hypothese der starren Platte mit einem schwachen abtauchenden Rand», betont ETH-Professor Gerya. Die Arbeit ist damit nicht abgeschlossen: Einer seiner Bachelorstudenten, Simon Niggli, hat Plattenbrüche erstmals dreidimensional modelliert und beschrieben. Weiter wollen die Forschenden untersuchen, ob die Segmentierung von Plattenrändern auch für starke Erdbeben verantwortlich sein kann.