Abdecken von Gletscher-Eis wirksam, aber teuer
Die meisten Gletscher in den Schweizer Alpen sind in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund zunehmender Temperaturen und sommerlicher Hitzewellen stärker geschmolzen als je zuvor seit Beginn der Messungen. Dadurch sind Eisströme ein Symbol für den Klimawandel geworden. An vielen Orten sind Gletscher aber auch ein Wirtschaftsfaktor, insbesondere dort, wo sie für den Skitourismus von Bedeutung sind. Zieht sich dort ein Gletscher zurück, kann die Funktionsfähigkeit und Rentabilität eines Gletscherskigebietes in Frage gestellt sein.
Aus diesem Grund begannen 1993 an der Zugspitze im Süden Bayerns erste Versuche, einen Gletscher teilweise mit einer weissen Textilplane abzudecken. Diese Idee hat sich in den letzten Jahren auch in der Schweiz als effiziente Technik durchgesetzt, um die Eisschmelze lokal zu reduzieren. «Es fehlten jedoch Studien zu den damit verbundenen Kosten und ob solche Massnahmen auf der Skala der Schweiz durchführbar wären», sagt Studienleiter Matthias Huss (WSL, ETH Zürich, Uni Fribourg). Mit der im Fachjournal ‘Cold Regions Science and Technology’ veröffentlichten Arbeit hat er mit einem Team die Erfahrungen mit Gletscherabdeckungen in der Schweiz erstmals zusammengefasst.
Der erste mit einer weissen Textilplane abgedeckte Gletscher der Schweiz war der Gurschenfirn am Gemsstock oberhalb Andermatt (Kt. Uri). Seit 2004 wird er vom späten Frühjahr bis zum Herbst abgedeckt. Dies erlaubt es, den Gletscher genügend dick zu erhalten, so dass man weiterhin mit Skiern von der Bergstation abfahren kann. In den Folgejahren kam es an sieben weiteren Orten der Schweizer Alpen in Höhenlagen zwischen 2250 und 3250 m.ü.M. zur teilweisen Abdeckung von Gletschern. Ein sehr kleiner, bereits fast verschwundener Gletscher an der Diavolezza (Pontresina, Kt. Graubünden) wurde sogar «wiederbelebt». Dort gelang es, von Jahr zu Jahr den im Winter gefallenen Schnee unter einem Vlies zu übersommern, so dass die Eisdicke wieder anwuchs.
Textilplanen vermindern die Gletscherschmelze lokal um rund 60 Prozent
Die Auswertung von Luftbildern ergab, dass gegenwärtig etwa 0,18 km2, oder nur gerade 0,02% der gesamten Gletscherfläche der Schweiz mit Geotextilien bedeckt sind. Unter den weissen Planen schmilzt rund 60% weniger Eis und Schnee als daneben. Schweizweit ist damit durch diese Technik jährlich bis zu 350.000 m3 Gletschereis vorerst erhalten geblieben. Grundsätzlich stellt diese Massnahme also eine effiziente Methode dar, um lokal die Funktionsfähigkeit von Skipisten oder anderen touristischen Attraktionen für eine gewisse Zeit zu sichern.
Mit dem Klimawandel schmilzt immer mehr Eis in Skigebieten, was die Kosten für notwendige Abdeckungen in die Höhe schraubt. Die Studie ergab, dass die Kosten für einen Kubikmeter künstlich erhaltenes Gletschereis im Mittel über das letzte Jahrzehnt pro Jahr zwischen 0.60 und 7.90 CHF lagen, je nach Art der Abdeckung und deren Lage auf dem Gletscher. Diese relativ hohen Kosten zeigen, wie wirtschaftlich bedeutsam das Gletschereis ist. Dies gilt auch für die mit rund 50'000 m2 grösste Gletscherabdeckung der Schweiz am Rhonegletscher. Diese soll die Touristen-Attraktion der künstlichen Eisgrotte möglichst lange erhalten.
Der Gletscherschwund lässt sich durch Abdecken nicht beliebig verhindern. Lokale Abdeckungen können zwar durchaus effizient und profitabel sein, doch eine Anwendung im grösseren Massstab, also die vollständige Rettung von ganzen Alpengletschern, dürfte weder realisierbar noch bezahlbar sein. In einem hypothetischen Experiment wurde berechnet, dass es jährlich mehr als eine Milliarde Franken kosten würde, um alle Schweizer Gletscher abzudecken. Selbst dieses Vorgehen würde ihren Rückgang nur verlangsamen und nicht längerfristig stoppen. Darüber hinaus hätten grossflächige Abdeckungen von Gletschern auch grosse Auswirkungen auf die Landschaft und die Umwelt.
Gletscherschmelze lässt sich nur durch Klimaschutz bremsen
Der durch den Klimawandel erwartete beschleunigte Eisverlust wird sich durch technologische Lösungen nicht aufhalten lassen. «Die einzige Möglichkeit, den globalen Rückgang der Gletscher wirksam zu begrenzen, ist die Verringerung der Treibhausgasemissionen und damit der Erwärmung der Atmosphäre», sagt Matthias Huss.
Aktueller Kontakt: Dr. Matthias Huss [Tel. +41 (0)79 752 72 62]