Klimawandel und Nährstoffschwankungen stören Netzwerke in Seen
In den meisten Seen leben Millionen von Kleinlebewesen, die unseren Augen meist verborgen bleiben. Allen gemeinsam ist, dass sie im Wasser schweben und sich mit der Strömung fortbewegen. Darum werden sie in ihrer Gesamtheit als «Plankton» bezeichnet, was auf Griechisch so viel heisst wie «das Umherirrende». Unter dem Plankton findet sich nicht nur eine unglaubliche Vielfalt an Grössen und Formen, sondern auch an Lebensweisen.
Beziehungen geben Stabilität
Das pflanzliche Plankton (Phytoplankton), dazu gehören zum Beispiel Grün- oder Kieselalgen, nutzt die Sonne als Energiequelle und stellt mithilfe von Sonnenlicht, CO2 und Wasser jene Stoffe her, die es zum Wachsen benötigt. Diese sogenannten Primärproduzenten bilden die Basis der Nahrungsnetze in Gewässern. Davon profitiert zunächst das tierische Plankton (Zooplankton), wozu zum Beispiel kleine Räder- und Wimperntierchen oder Wasserflöhe zählen, die die Algen abgrasen. Diese Tierchen ihrerseits bilden die Nahrungsgrundlage für räuberische Zooplanktonarten – welche wiederum von grösseren Räubern wie Fischen gefressen werden.
Das Wechselspiel beschränkt sich aber nicht nur aufs direkte Fressen und Gefressen werden. Die Arten interagieren beispielsweise auch miteinander, indem sie sich eine Nahrungsquelle streitig machen oder wenn sie im Schutz einer anderen Art besser gedeihen können. All diese unzähligen Interaktionen regulieren nicht nur das Nahrungsnetz, sondern verleihen dem gesamten Gewässerökosystem Stabilität.
Erwärmung verringert Verknüpfungsgrad
Trotz der grossen Bedeutung dieses hochkomplexen Planktonnetzwerks ist bisher noch wenig erforscht, wie es auf zwei der wichtigsten menschgemachten Bedrohungen reagiert – den Klimawandel und den durch Überdüngung verursachten Nährstoffeintrag in die Gewässer. Zwar weiss man, dass sich höhere Wassertemperaturen und wechselnde Phosphatkonzentrationen auf die Fülle und die Vielfalt der Planktongemeinschaften in unseren Seen auswirken. Noch ist aber weitgehend unbekannt, wie dadurch die Interaktionen zwischen Arten beeinflusst werden.
Dem Wasserforschungsinstitut Eawag ist es nun erstmals gelungen, hierzu fundierte Aussagen zu liefern. Die Resultate wurden kürzlich in der Fachzeitschrift «Nature Climate Change» publiziert. Ewa Merz, Ökologin und Erstautorin der Studie, fasst zusammen: «Wir haben herausgefunden, dass die Erwärmung der Seen, wie wir sie in den letzten Jahrzehnten beobachten, die Interaktionen im Planktonnetzwerk verringert. Es kommt zu weniger Interaktionen und diese sind auch weniger stark. Besonders ausgeprägt ist dieser Rückgang, wenn die Seen gleichzeitig hohe Phosphatwerte aufweisen.» Nimmt der Nährstoffgehalt in einem Gewässer wie dem Zürichsee auch nur geringfügig zu, könnte das in einer sich erwärmenden Welt bereits dramatische Folgen für das gesamte Netzwerk haben und das Ökosystem destabilisieren. Damit könnte gemäss Merz nicht nur ein Verlust von Arten drohen, sondern auch ein Rückgang der Ökosystemleistungen – wie beispielsweise eine geringere Wasserqualität aufgrund zunehmender Cyanobakterienblüten oder ein Rückgang der Fischpopulationen infolge von Veränderungen im Nahrungsnetz.
Einzigartiger Datensatz dank Sorgfalt der Kantone
Möglich gemacht hat diese Studie ein Datensatz, wie er in dieser Art wohl einzigartig ist. Merz lagen aus zehn Schweizer Voralpenseen Planktonproben sowie Messwerte von Wassertemperatur und Phosphatgehalt vor, welche die Kantone zwischen 1977 und 2020 monatlich erhoben und der Eawag zur Verfügung gestellt haben. Mit einer innovativen Datenanalyse, die am nationalen Supercomputing-Zentrum CSCS durchgeführt wurde, gelang es Ewa Merz, ganze ökologische Planktonnetzwerke zu rekonstruieren und deren Beziehung zum Phosphatgehalt und zur Wassertemperatur zu ermitteln.
Plankton in Überwachungsprogramme einbeziehen
Die Studie könnte für die Kantone einen doppelten Mehrwert bedeuten. «Einerseits ist es für sie schön zu sehen, dass die Daten, die sie über so viele Jahre hinweg sorgfältig gesammelt haben, genutzt werden. Andererseits sind sie auch an den Ergebnissen interessiert», sagt Merz und streicht die sehr gute Zusammenarbeit mit den Behörden heraus.
Sie hält denn auch konkrete Empfehlungen für die Praxis bereit: «Damit sich die Nahrungsnetze in den Seen nicht weiter destabilisieren, müssten wir einerseits die globale Erwärmung mildern und andererseits die Nährstoffeinträge streng kontrollieren. Wenn wir Planktongemeinschaften kontinuierlich überwachen, können wir grössere Veränderungen im Ökosystem besser vorhersehen. Unsere Studie zeigt, dass kleine Weidegänger wie Wimpern- oder Rädertierchen wichtige Indikatoren für solche Veränderungen sind. Entsprechend sollte ihre Beprobung in künftige Überwachungsprogramme der Seen einbezogen werden.»