Änderung der Voreinstellung hat einen grossen und anhaltenden Effekt
Menschen entscheiden sich oft für das Standardangebot. So wird die Entscheidung, ob jemand Organspender sein möchte, oder ob jemand sein Druckerpapier auf beiden Seiten bedruckt, davon beeinflusst, welche Option als Standard oder Voreinstellung (engl. default) gilt. Ökonomen und Soziologen bezeichnen dies als Default-Effekt. Forschende der ETH Zürich und der Universität Warwick, Grossbritannien, konnten nun einen weiteren sehr deutlichen solchen Effekt aufzeigen: Nicht nur private Haushalte, sondern auch Selbständigerwerbende, kleine und mittlere Unternehmen beziehen eher nachhaltig produzierten Strom, wenn ihr Elektrizitätsanbieter diesen als Standardangebot definiert.
Die Wissenschaftler analysierten dazu Daten von zwei Schweizer Stromversorgern – einem grossen und einem mittelgrossen. Möglich wurde die Untersuchung, weil diese Elektrizitätswerke ihre Standardangebote vor wenigen Jahren umstellten. Vor der Umstellung lieferten sie ihren Kunden standardmässig einen konventionellen Strommix. Wer Strom aus erneuerbaren Quellen wünschte, konnte diesen unter Mehrkosten bestellen. Nach der Umstellung war es umgekehrt: «Grüner» Strom wurde zum Standardangebot gemacht, wer günstigeren konventionellen Strom beziehen wolle, musste dies dem Elektrizitätswerk mitteilen.
Anhaltender Effekt
Das Forschungsteam um Andreas Diekmann, emeritierter Professor an der ETH Zürich, und Ulf Liebe, Professor an der Universität Warwick, war überrascht davon, wie gross dieser Default-Effekt war. Von den untersuchten knapp 234'000 privaten Haushalten bezogen vor der Umstellung bei den beiden Stromversorgern 3 beziehungsweise 1,2 Prozent grünen Strom. Nach der Umstellung stieg dieser Anteil auf 85 beziehungsweise 89 Prozent.
Insgesamt erhöhte der Default-Effekt die Nachfrage nach grünem Strom um über 80 Prozent, obschon der Strom aus erneuerbarer Energie 3,6 Prozent (Tagstrom) beziehungsweise 8,3 Prozent (Nachtstrom) teurer war als der konventionelle Strom. «Bemerkenswert ist, dass auch fünf Jahre nach der Umstellung immer noch rund 80 Prozent der Haushalte beim grünen Strom bleiben», sagt Jennifer Gewinner, Wissenschaftlerin in Diekmanns Gruppe und Mitautorin der Studie.
Für Geschäftskunden der beiden Elektrizitätswerke waren die prozentualen Mehrkosten erneuerbarer Energie sogar noch grösser: 5,8 beziehungsweise 14,3 Prozent. Aber auch bei diesen beobachteten die Wissenschaftler einen starken Default-Effekt. Bei Geschäftskunden von Versorger A stieg der Anteil erneuerbarer Energie von 3 auf 77 Prozent, bei Versorger B von 0,7 auf 84,7 Prozent. Auch hier hielt der Effekt an: Nach sechs Jahren fiel der Bezug von grünem Strom nur von 77 auf 71 Prozent ab.
Kein Mehrverbrauch
Die Wissenschaftler untersuchten ausserdem, ob der Bezug von grünem Strom zu einem höheren Verbrauch führte. Denkbar wäre nämlich, dass sich Kunden nach dem Motto «mein Strom stammt aus verantwortungsvoller Quelle, also kann ich davon ruhig etwas mehr verbrauchen» selbst einen «moralischen Freibrief» ausstellen. Allerdings konnten die Forschenden beim Bezug von grünem Strom keinen solchen Effekt feststellen. Haushalte mit grünem Strom verbrauchten nicht signifikant mehr Elektrizität als solche mit konventionellem Strom.
«Da eine grüne Voreinstellung die Stromnachfrage deutlich hin zu solchem aus erneuerbaren Quellen verschiebt, ist dies eine einfache Massnahme zur Reduktion von CO2-Emissionen», sagt Diekmann. Weil der Strommix in der Schweiz ohnehin einen hohen Anteil von Strom aus Wasserkraft enthält, sind die positiven Auswirkungen des Default-Effekts auf das Klima hierzulande gering. «Länder wie Deutschland, die USA oder China könnten von einem grünen Default aber deutlich profitieren», so Diekmann. «Für Deutschland errechneten wir eine Einsparung von 45 Millionen Tonnen CO2 für das Jahr 2018 allein bei den privaten Haushalten. Das ist schon ein enormer Effekt mit einer so einfachen Massnahme.»
Diese Studie wurde vom Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramm 71 Steuerung des Energieverbrauchs gefördert.