Blaualgen: jeder See ist einzigartig

Für die Vorhersage von toxischen Algenblüten empfehlen Forschende der Eawag eine Kombination von Artbestimmung und chemischen Messungen. Eine neue Studie untermauert nun, dass es dafür kein Patentrezept gibt, sonders dass für jeden See spezifische Indikatormoleküle notwendig sind.
Forscherin Elisabeth Janssen bei der Probenahme auf dem Greifensee (Foto: ETH-Rat, Daniel Kellenberger).

Cyanobakterien, auch als Blaualgen bekannt, können sich in den wärmeren Monaten des Jahres explosionsartig in Seen verbreiten. Unter den zahlreichen Arten der Cyanobakterien gibt es auch solche, die Giftstoffe produzieren, Im Fall einer solchen toxischen Algenblüte müssen die Behörden rasch Schutzmassnahmen treffen können, wie etwa ein Badeverbot. Dazu helfen ihnen Monitoring-Programme, die Biomoleküle messen, die von den Cyanobakterien hergestellt werden, traditionellerweise Pigmente wie Chlorophyll, und die auf ein Wachstum der gefährlichen Blaulagen hindeuten.

Forschende des Wasserforschungsinstituts Eawag weisen nun in einer Studie nach, dass im Fall des Greifensees diese Pigmente jedoch kaum Vorhersagekraft haben – ebenso wie einige andere von der WHO vorgeschlagene Indikatormoleküle. Stattdessen haben die Forschenden aus dem ganzen Cocktail an Biomolekülen, welche die Cyanobakterien herstellen, vier herausgefischt, anhand derer das Entstehen einer toxischen Blüte gezielt verfolgt werden kann – für den Greifensee. Denn zwischen einzelnen Seen gibt es grosse Unterschiede, welche mit den physikalischen und ökologischen Eigenschaften der Seen zusammenhängen, aber auch damit, welche Cyanobakterien dort vorherrschen.  

Fischen im Gift-Cocktail

«Im Nordamerikanischen Lake Erie, wo es regelmässig zu toxischen Blüten kommt, funktioniert Chlorophyll zum Beispiel hervorragend als Indikator, solange die Cyanobakterien vorwiegend für das Chlorophyll verantwortlich sind und nicht andere Algen das Signal beeinflussen – leider ist das in unserem Greifensee nicht so einfach», betont die Umweltchemikerin Elisabeth Janssen. «Es gibt also kein Patentrezept, sondern es empfiehlt sich, jeden See separat anzusehen», ergänzt ihr Doktorand und Erstautor des Artikels Xuejian Wang.  

Für diese Beobachtung, die Fachleuten aus der Praxis nicht fremd sein dürfte, liefert das umfangreiche SNF-Projekt zwischen Chemikerinnen, Ökologen und Mikrobiologen an der Eawag nun reichlich Belege. Die kürzlich veröffentlichte Studie dokumentiert die jährlichen Schwankungen einer grossen Anzahl von Cyanobakterien produzierter Biomoleküle über einen so langen Zeitraum (fünf Jahre) wie keine Publikation zuvor. Insgesamt wurden in 850 Proben aus dem Greifensee zwischen 2019 und 2023 untersucht und 35 Biomoleküle regelmässig detektiert.

Indem die Forschenden das Auftreten verschiedener Moleküle mit dem Auftreten von toxischen Blüten in Zusammenhang brachten, konnten sie eindeutig aufzeigen, dass sich Pigmente im Greifensee kaum eignen, um toxischen Algenblüten gezielt zu verfolgen. Das Eawag Team stellte einen genauen Vergleich an zwischen Biomolekülen im Greifensee und in Cyanobakterien die aus dem See isoliert wurden. Dabei stellte sich heraus, dass es Biomoleküle gab, die sich in einigen Jahren gut als Indikatoren geeignet hätten, in anderen aber nicht, abhängig von der Dynamik der verschiedenen Cyanobakterienarten im See, die sich nicht nur im Jahresverlauf, sondern auch von Jahr zu Jahr etwas verändern kann.  

Zuverlässige Methode

Ausgewählt wurden schliesslich vier Biomoleküle, die Schwankungen verschiedener Cyanobakterien im Greifensee abbilden konnten. Darunter auch ein Vertreter der giftigen Microcystine, der auch in Burgunderblüten des Cyanobakterium Planktothrix in anderen Schweizer Seen auftreten kann. Die anderen drei Indikatormoleküle weisen auf verschiedene Cyanobakterien der Gattung Microcystis hin. Obwohl nicht alle Indikatormoleküle toxische Substanzen sind, weist ihr Auftreten auf das Vorhandensein von toxischen Cyanobakterien hin – und das sogar noch, bevor die eigentlichen Toxine, zum Beispiel Mikrocystine, messbar sind.

Janssen ist zuversichtlich, dass diese vier Substanzen eine gute Liste von Indikatoren für den Greifensee sind. «Man muss nicht alle möglichen Biomoleküle messen, man kann es sich einfacher machen. In Zukunft kann es für die Behörden interessant sein, nur ausgewählte Substanzen pro See zu verfolgen. Man muss aber wissen, welche Indikatoren für welchen See relevant sind», sagt die Forscherin.  

Die Forschenden empfehlen zudem, sich nicht nur auf die Messung von Biomolekülen zu verlassen, sondern – wie das teilweise schon gemacht wird – diese Messungen zu kombinieren mit einer Messung von Zellzahlen der Bakterien, um die Anzahl Bakterien pro Liter Wasser zu bestimmen sowie mit einer Methode, um die vorherrschenden Arten zu identifizieren, etwa einen Gen-Marker. Zusammen mit den Indikatorsubstanzen bekommt man robuste Anhaltspunkte, ob und wann eine toxische Algenblüte droht. Und das Team möchte auch besser verstehen, welchen Einfluss die Seegemeinschaft anderer planktonischen Lebewesen sowie die Konkurrenz unter Cyanobakterien selbst auf die Entwicklung toxischer Blüten hat.

Jetzt auch ufernahe Proben im Fokus

Janssen betont, keine der Proben, die mit Massenspektrometrie analysiert wurden, habe eine Toxin-Konzentration über den Grenzwerten der World Health Organisation enthalten. Anders dürfte sich die Situation für Proben vom Uferbereich präsentieren. Cyanobakterien, die auf dem Grund des Sees wachsen und ihren Weg an die Oberfläche finden, sogenannte benthische Cyanobakterien, produzieren andere Toxine als die im freien Gewässer. Diese benthischen Cyanobakterien können aber lokal und temporär eine akute Gefahr für Menschen und Tiere darstellen, so dass vom Baden abgeraten werden muss. Das Forschungsteam der Eawag nimmt sich daher jetzt auch diesem Thema an und beprobt 2025 den Greifensee erstmals auch für benthische Cyanobakterien.  

Was sind Blaualgen?

Es sind keine Algen, sondern Bakterien. Der Name kommt daher, dass die Pigmente der Cyanobakterien in dichten Blüten das Wasser grün, blau-grün und braun-grün erscheinen lassen und historisch irrtümlich mit Algen in Zusammenhang gebracht wurden. Sie gehören zu den ältesten Lebewesen auf der Erde und beziehen ihre Energie aus der Fotosynthese. Sie produzieren unzählige bioaktive Substanzen, von denen erst ein Bruchteil bekannt ist. Einige wenige dieser Stoffe sind nachweislich giftig, z.B. als Nerven- oder Lebergift. Wenn Säugetiere mit ihnen in Kontakt kommen, kann das kritisch sein. Das ist vor allem in stehenden Gewässern ein Problem – vom kleinen Tümpel, aus dem das Vieh trinkt, bis zu Seen, in denen Hunde oder Menschen baden. Warum die Bakterien die Toxine produzieren, ist bis heute nicht vollständig bekannt. Da sie oft nicht an die Umgebung abgegeben werden, sondern im Inneren der Zellen bleiben, vermutet man, dass es nicht nur Abwehrstoffe sind, sondern dass sie auch im Stoffwechsel der Bakterien eine besondere Rolle spielen. Siehe auch FAQ Cyanobakterien / Blaualgen

Weitere Informationen

Originalpublikation

Wang, X.; Wullschleger, S.; Jones, M.; Reyes, M.; Bossart, R.; Pomati, F.; Janssen, E. M. -L. (2024) Tracking extensive portfolio of cyanotoxins in five-year lake survey and identifying indicator metabolites of cyanobacterial taxaEnvironmental Science and Technology, 58(37), 16560-16569, doi:10.1021/acs.est.4c04813Institutional Repository

Kooperationen / Finanzierung

Eawag Schweizerischer Nationalfonds, Sinergia