Eine ökologische Wende kann gelingen
Die Biodiversitätskrise hat eine Dimension erreicht, welche nicht mehr nur durch wenige Schutzgebiete und ein paar freiwillig Engagierte bewältigt werden kann. Naturschutz ist längst kein Hobby mehr, sondern ein weltpolitisches Thema, um das wir uns dringend kümmern müssen. Daran erinnert uns der internationale Tag der Biodiversität.1
Der Tag geht auf den 22. Mai 1992 zurück, als die Nationen der Welt mit dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt2 erstmals eine gemeinsame Strategie zur Rettung der natürlichen Lebensgrundlagen formulierten. Heute, genau 30 Jahre später, gibt es allerdings wenig Grund zu feiern.
Ökologisches Versagen wird zum Systemrisiko
Die Populationen der Wirbeltiere wie Säugetiere, Vögel und Fische sind seit den 1970er Jahre weltweit im Durchschnitt um zwei Drittel geschrumpft.3 Dramatisch ist die Lage auch für andere Artengruppen wie Insekten4 oder Pflanzen5. Das Artensterben beschleunigt sich.6 Damit ist zusehends auch unsere Lebensgrundlage gefährdet.
Das haben inzwischen auch die internationale Politik und Wirtschaft erkannt. Das britische Finanz- und Wirtschaftsministerium bezeichnet die Natur als das wertvollste Kapital und spricht von einem kollektiven ökologischen Versagen.7 Das WEF zählt den Naturverlust zu den grössten globalen Risiken. 8 Und Swiss Re sieht ein Fünftel aller Nationen direkt durch den Kollaps von Ökosystemen gefährdet.9
Eine ökologische Wende ist möglich
Es besteht ein breiter Konsens, dass weiterer Naturverlust zum Kollaps führt. Wir erleben bereits wie Zielkonflikte um knappe Natur zunehmen: Intensive oder biologische Landwirtschaft? Verdichtete oder begrünte Städte? Erneuerbare Energien in Naturschutzgebieten?
Als Ökologe versuche ich aufzuzeigen, dass ökologische Alternativen und Win-Win-Situationen möglich sind. Durch ökologische Regeneration10 entstehen Synergien:
- Der Mensch braucht Natur: Statt Leben und Natur zu trennen, sollten wir vielfältige Naturbeziehungen pflegen. Naturerlebnisse erhöhen die Lebensqualität und fördern die Gesundheit.11
- Die gesamte Landschaft ist Natur: Statt isolierte Naturinseln zu schützen, sollten wir die gesamte genutzte Landschaft regenerieren. Renaturierte Landschaften puffern Klimaextreme, verbessern das Landschaftsbild und sichern Naturleistungen wie die Bestäubung.
- Wirtschaft braucht Naturschutz: Eine ökologische Ökonomie vermehrt ihr Naturkapital, statt es zu vernichten. Dazu sollen möglichst viele unserer Tätigkeiten die Landschaft schützen, wiederherstellen oder nachhaltig nutzen.
Gemeinsam mit statt gegen die Natur
So genannte naturbasierte Lösungen12 spannen mit der Natur zusammen, generieren Wertschöpfung und kommen – sofern gut durchdacht – der Biodiversität zugute. Beispiele sind robustere Kulturen und gesunde Böden dank ökologischer Landwirtschaft, Klimaanpassung durch Wälder und Moore, oder Küstenschutz mittels Mangroven.
Dieses Jahr fordert uns der Tag der Biodiversität zum «Aufbau einer gemeinsamen Zukunft für alles Leben» auf. Das gelingt uns, wenn wir im Alltag reiche Naturbeziehungen pflegen, die Ausbildung und Forschung zu naturbasierten Lösungen fördern, und in eine naturbasierte Wirtschaft investieren.