Schneefreie Schweiz?

Dass in den Schweizer Skigebieten in den letzten Wochen praktisch kein Schnee lagt, ist medial ein grosses Thema. Sonia Seneviratne erklärt, warum wir uns an diesen Anblick gewöhnen müssen, und welcher Handlungsbedarf besteht.
Skifahrer:innen auf einer Kunstschneepiste in grüner Landschaft, aufgenommen am 4. Januar 2023 in Wildhaus im Obertoggenburg. (Bild: KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)

Unterhalb von 2000 Metern gab es Anfang Jahr in den Schweizer Bergen kaum Schnee, und wenn überhaupt nur Kunstschnee. Das nagt am Selbstverständnis der Schweiz. Eine Schweiz ohne Schnee ist wie der Weihnachtsmann ohne sein rot-weisses Gewand: Der Zauber verschwindet.

Die Ursache für den Schneemangel ist schnell gefunden. Die Temperatur in diesem Winter liegt deutlich höher als in den letzten Jahrzehnten. Dies ist kein Zufall, sondern entspricht der langfristigen Zunahme der Temperatur in der Schweiz, die in allen Jahrzeiten zu beobachten ist. Die mittlere Temperaturzunahme in der Schweiz seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beträgt 2,4°C. Dies ist doppelt so viel wie die mittlere globalen Erwärmung, die aktuell ca. 1,1°C beträgt.1 Diese Temperaturzunahmen sind hauptsächlich auf der Verbrennung von fossilen Energieträgern wie Erdöl, Gas und Kohle zurückzuführen, was zu einem Anstieg von CO2 in der Atmosphäre führt.2

Der Klima-«Wandel» ist irreversibel

Diese Entwicklung wird immer schlimmer, da die menschlichen Emissionen weiter zunehmen und sich in der Atmosphäre akkumulieren. Dieser Klima-«Wandel» ist nämlich grösstenteils irreversibel: Das überschüssige CO2 bleibt Hunderte, ein Teil sogar Tausende von Jahren in der Atmosphäre. Das heisst: Selbst wenn wir unsere Emissionen auf Null bringen, würden unsere Bergen nicht plötzlich wieder weiss werden. Die Schneelage dieses Jahr ist viel besser als das, was uns in Zukunft noch erwartet. Schnee wird zum Luxus – zu einer Art «weissem Gold».

«Wir können die Augen nicht mehr davor verschliessen, dass die Schweiz ausserordentlich stark von der Klimakrise betroffen ist.»      Sonia Seneviratne

Das sind schon schlechte Nachrichten, aber es kommt noch schlimmer. Jahr für Jahr tragen die Menschen durch Verbrennungsmotoren, Erdöl- und Gasheizungen, Flüge, Kreuzfahrtschiffreisen und den Konsum von klimaschädlichen Gütern dazu bei, dass die CO2-Konzentrationen weiter zunehmen. Und obwohl uns die schneefreien Berge unmittelbar die Konsequenzen vor Augen führen und ganz konkrete Auswirkungen z.B. auf den Tourismus haben, sind wir Schweizer und Schweizerinnen alles andere als ein gutes Vorbild: Wir gehören zu den 20 Ländern, die am meisten CO2 pro Kopf emittieren.3  

Wer zahlt für das fehlende weisse Gold?

Das mangelnde weisse Gold hat Konsequenzen für die Wirtschaft. Zermatt musste das erste geplante länderübergreifende Skirennen im Oktober in letzter Minute wegen Schneemangel und mit «beträchtlichen» Imageschäden absagen. Ob Adelboden die Ski-Weltcup-Rennen am Wochenende organisieren würde, war länger unsicher. Die Bergbahn Splügen-Tambo meldete Anfang Januar – wie andere kleinere Skiregionen auch – dass der Betrieb aufgrund des Schneemangels bis auf Weiteres ganz eingestellt werden müsse. Die Skitourismus-Industrie in Europa beträgt laut Time magazine 30 Milliarden Dollars .4 Wer soll all diese Verluste decken, wenn die Tourist:innen in Zukunft lieber in den Rocky Mountains, den Anden oder gar im Himalaya Ski fahren wollen?

Hoffnung durch Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative

Wir können die Augen nicht mehr davor verschliessen, dass die Schweiz ausserordentlich stark von der Klimakrise betroffen ist – besondere die Bergregionen. Die Gletscher schmelzen, die Hänge werden instabil, der Schnee verschwindet: Dies kann man nicht wiedergutmachen. Die internationale Klimapolitik steht still. Die Klimakonferenz in Sharm-el-Sheikh brachte 2022 keine Fortschritte für die Reduktion von weltweiten CO2-Emissionen, und die Schweiz kann diese Entwicklung nicht glaubwürdig beeinflussen, wenn sie ihre Hausaufgaben selbst nicht macht.

Trotzdem gibt es einen Hoffnungsschimmer in der Schweizer Klimapolitik. Allen voran, der Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative, der erfolgreich vom Parlament gutgeheissen wurde. Dass einige Politiker:innen ein Referendum dagegen ergreifen wollen, ist für mich unbegreiflich. Es gibt aber auch Zeichen, dass die Schweizer:innen verstehen, was auf dem Spiel steht. Dies zeigt sich in den ehrgeizigen kantonale Klimagesetzen und -Initiativen: So hat die Glarner Landsgemeinde einen viel schärferen Klimaschutz gutgeheissen, das neue Zürcher Energiegesetz und die Klimagerechtigkeitsinitiative Basel2030 sind sehr wichtige Schritte gewesen. Hoffen wir, dass 2023 sich dieses Bewusstsein für eine neue Klimapolitik in der ganzen Schweiz etabliert, damit in Zukunft auch unsere Kinder und Grosskinder eine Chance haben, verschneite Schweizer Berge zu sehen.  

Dieser Beitrag erschien in leicht abgeänderter Form zuerst als Kolumne im SonntagsBlick.

About the author

Sonia I. Seneviratne ist Professorin für Land-Klima Dynamik und Delegierte der ETH Schulleitung für Nachhaltigkeit.