Die Schweizer Wasserwende: abwarten oder proaktiv gestalten?

Neue, modulare Technologien im Wassersektor können dazu beitragen, die Siedlungswasserwirtschaft flexibel und zukunftsfähig zu entwickeln und die Ressource Wasser nachhaltig zu nutzen. Welche Chancen und Risiken damit verbunden sind, zeigt ein Team von Forschenden des Wasserforschungsinstituts Eawag in einem kürzlich erschienenen Artikel in der Zeitschrift Aqua & Gas.
Modulare Technologien sollen dazu beitragen, die Schweizer Siedlungswasserwirtschaft nachhaltig zu entwickeln. (Foto: iStock)

Die Siedlungswasserwirtschaft steht vor einer Wende: Modulare Technologien sollen die bestehenden Wasser- und Abwasserinfrastrukturen flexibler gestalten und dazu beitragen, die Siedlungswasserwirtschaft nachhaltig zu entwickeln. Heute bewirtschaften wenige grosse Anlagen mit einem weit verzweigten Kanalnetz die Wasserflüsse in Siedlungsgebieten – zwar hocheffizient, aber häufig auch teuer. In Zukunft sollen vermehrt kleinere, modulare Anlagen in das bestehende Wassersystem integriert werden, um Wasserkreisläufe wo sinnvoll lokal zu schliessen. Die Technologien hierfür stehen bereits zur Verfügung. Sie ermöglichen es, lokal Abwasser zu reinigen und aufzubereiten sowie Nährstoffe aus dem Abwasser zurückzugewinnen, also direkt in einzelnen Gebäuden oder Quartieren. Nun geht es darum, die Technologien zu Systemen zusammenzufügen und in die Praxis zu transferieren.

In der Schweiz sind die neuen Technologien noch wenig verbreitet. «Wir sollten das mittelfristige Umbruchpotential aber nicht unterschätzen», sagt der Eawag-Forscher Bernhard Truffer, Leiter des Forschungsprojekts COMIX, das im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Wasserwirtschaft» (NFP73) die Chancen und Risiken der zukünftigen Siedlungswasserwirtschaft untersucht hat. «Blickt man auf den Strom- oder Automobilsektor, zeigt sich, dass neue Technologien wie etwa erneuerbare Energien oder Elektroautos oft lange nicht beachtet werden. Im letzten Jahrzehnt kam es dann jedoch zu rasanten Umbrüchen in beiden Sektoren».

Umbruch in der Schweizer Siedlungswasserwirtschaft?

Wie soll nun die Schweizer Wasserwirtschaft auf die erwartete Wasserwende reagieren: Sich proaktiv vorbereiten, um nicht überrollt zu werden? Oder lieber abwarten, bis sich die neuen Technologien anderenorts etabliert haben? Diese Fragen untersuchten Forschende der Eawag aus den Ingenieur- und Sozialwissenschaften im Austausch mit Expertinnen und Experten aus der Schweizer Siedlungswasserwirtschaft im kürzlich abgeschlossene Forschungsprojekt COMIX.

Im Artikel «Modulare Wasserinfrastrukturen – Optionen für eine zukunftsfähige Siedlungswasserwirtschaft» in der Zeitschrift Aqua & Gas schreiben die Forschenden, dass die Schweiz bei der Wasserwende ganz vorne mitspielen könnte. Sie sind überzeugt, dass sich die Schweiz angesichts der hohen Glaubwürdigkeit und des Know-hows der Schweizer Technologieanbieter als Testmarkt und Entwicklungsbasis für die neuen Systeme positionieren könnte. «Sowohl in der Schweizer Forschung wie auch Privatwirtschaft besteht eine hohe technische Expertise», sagt Bernhard Truffer. «Zudem befassen sich bereits zahlreiche Akteure mit der Entwicklung und Implementierung neuer Wassertechnologien.» Allen voran in den Städten wächst das Interesse an lokal geschlossenen Wasserkreisläufen. In mehreren städtischen Zukunftslaboren, zum Beispiel in städtischen Neubauprojekten, die sich an ökologischen Werten orientieren, testet die urbane Bevölkerung neue Wasserkonzepte wie etwa das getrennte Sammeln von Urin und dessen Weiterverarbeitung zu Dünger.

Schweiz könnte eine Pionierrolle übernehmen

«Im Moment sind die Aktivitäten allerdings noch zu isoliert voneinander», sagt Bernhard Truffer. «Und Synergien werden noch ungenügend abgeschöpft».  Ob die Positionierung als Wasserpionierin daher gelingt, hängt davon ab, ob die Schweizer Firmen bereit sind, entsprechende Investitionen zu tätigen und sich zu vernetzen. Aber auch Behörden und Verbände sind aufgerufen, Experimente mit den neuen Technologien zu bewilligen und kritisch zu diskutieren.

«Die steigende Zahl an Experimenten, wie zum Beispiel das Nutzen des aufbereiteten Wassers fürs Duschen oder Wäschewaschen, sollte als Chance und Lerngelegenheit verstanden werden», betont Bernhard Truffer. «Denn noch sind einige Fragen etwa im Gewässerschutz offen.» Reinigen zum Beispiel die kleinen dezentralen Anlagen das Abwasser gleich gut wie die hocheffizienten zentralen Anlagen? Dennoch, das Forschungsprojekt COMIX zeigt: die Schweiz könnte eine Pionierrolle in der Wasserwende übernehmen. Die Voraussetzungen wären vorhanden.    

Originalpublikation

Truffer, B.; Maurer, M.; Heiberg, J. (2022) Modulare Wasserinfrastrukturen. Optionen für eine Zukunftsfähige SiedlungswasserwirtschaftAqua & Gas, 102(9), 60-65, Institutional Repository