Nächstes Ziel: Netto Null
Gebäude verursachen rund einen Viertel des Schweizer CO2-Ausstosses. Wollen wir das 1,5°C-Ziel des Pariser Klimaabkommens erreichen, müssen diese Emissionen drastisch sinken. Das wissen auch die Institutionen des ETH-Bereichs. Deshalb erforschen sie moderne Energiekonzepte – und setzen sie auch gleich in die Praxis um. Beispielsweise an der ETH Zürich.
Hier sind auf dem Hönggerberg bereits 14 Gebäude ans «Anergienetz» angeschlossen, sieben weitere sollen in den nächsten beiden Jahren folgen. «Anergie wärmt und kühlt auf tiefem Temperaturniveau», erklärt Wolfgang Seifert, Energiebeauftragter der ETH Zürich, «das klingt ungewohnt, ist aber keine Raketentechnologie.» Im Winter wird die Wärme mit 18 Grad Celsius aus 200 Meter Tiefe aus dem Erdreich gewonnen. Wärmepumpen erhöhen die Temperatur dann auf etwa 34 Grad. «Damit heizen wir. Damit das funktioniert, braucht es natürlich Anlagen mit sehr gutem Wirkungsgrad und speziell darauf ausgelegte Gebäude.» Am Hönggerberg ist die Anergie-Versorgung bei Neubauten Standard; alte Gebäude werden so saniert, dass sie ebenfalls ans Anergienetz angeschlossen werden können.
So etwa der Physikturm, der inzwischen Minergie-zertifiziert ist. «Im Winter heizen wir mit Energie, die wir gratis aus der Erde kriegen, im Sommer leiten wir überschüssige Wärme in den Boden und kühlen so die Gebäude.» 2006 setzte sich die ETH Zürich das Ziel, den CO2-Ausstoss der Gebäude bis 2020 um 50 % zu senken. Dieses Ziel haben Seifert und sein Team mehr als erreicht und dafür den Energiepreis Watt d’Or erhalten. «Aktuell planen wir, wie wir möglichst schnell auf Netto Null kommen.»
Abwärmespeicher im Boden
In der Schwesterinstitution in Lausanne hat sich die Wärmeversorgung ebenfalls stark verändert. Die 2021 fertiggestellte neue Heizzentrale der EPFL verfügt über leistungsfähigere Wärmepumpen als ihre Vorgängerinnen, die Fassaden und das Dach des neuen Gebäudes sind vollständig mit Sonnenkollektoren bedeckt und sie kann auch die Abwärme des im selben Gebäude untergebrachten Rechenzentrums verwerten. Schon seit 1986 basieren Heizung und Kühlung zu einem grossen Teil auf Wasser aus dem Genfersee. «Wir entnehmen es mit einer konstanten Temperatur von sieben Grad und erwärmen es mithilfe der Wärmepumpen auf etwa 50 Grad. Damit betreiben wir die gemeinsame Pumpstation von EPFL und Universität Lausanne», erklärt Energy Project Manager David Gremaud.
Und sein Kollege Gianluca Paglia ergänzt: «Bald werden wir auch die Abwärme der Server nutzen. Dazu wird Wasser durch die speziell konstruierten Türen der Computer-Racks geleitet. So werden die Server gekühlt und das Wasser geheizt.» Zudem ist in einem Teil des Gebäudes ein Pilotbereich für wissenschaftliche Versuche geplant. So ist die EPFL zum Heizen und Kühlen der Gebäude nicht mehr auf fossile Energieträger angewiesen – und für die Zukunft sind bereits weitere Projekte geplant. «Wir haben noch rund 15 000 m2 Dachflächen zur Verfügung, auf denen wir Photovoltaikanlagen installieren können», erklärt Gremaud. «Dieses Projekt ist ein integraler Bestandteil der EPFL-Energiestrategie zur Reduktion der CO2-Emissionen.»
Empa und Eawag sind auf einem gemeinsamen Campus in Dübendorf beheimatet. Dort wird aktuell ein neuer Gebäudekomplex mit darunterliegendem Hochtemperatur-Erdsondenspeicher gebaut. Die Erdsonden reichen bis zu 100 Meter in die Tiefe. Wie sich dieses System, mit dem der gesamte Campus beheizt wird, weiter verbessern lässt, werden die Forschenden in den nächsten Jahren direkt unter ihren Füssen untersuchen. «Wir nutzen die Abwärme von Kälteanlagen und Forschungsgeräten», sagt Hannes Pichler, Leiter Immobilien der Empa (die auch die Immobilien der Eawag und WSL betreut). «Diese Abwärme leiten wir im Sommer über die Sonden ins Erdreich und ‹laden› so die ‹Batterie› für den Winter.»
Zudem betreiben Empa und Eawag auch ein Biogas-Blockheizkraftwerk und produzieren Strom mit Photovoltaik-Anlagen. Die Daten aus den verschiedenen Anlagen werden detailliert ausgewertet. Mithilfe der Digitalisierung sollen sie in den nächsten Jahren weiter optimiert werden. «Es besteht nach wie vor sehr viel Potential zur weiteren Effizienzsteigerung», so Pichler, «das nächste Ziel ist Netto Null. Dieses möchten wir so schnell wie möglich erreichen.»
Mehr Wissen pro eingesetzter Energie
«Natürlich haben auch wir Photovoltaik-Anlagen, Ladestationen für E-Autos, motivieren unsere Mitarbeitenden mit dem ÖV zu kommen und sind an ein Fernwärmenetz angeschlossen, das mit Abwärme betrieben wird», erklärt Marcel Hofer, Energiebeauftragter des Paul Scherrer Instituts. «Unsere grösste Herausforderung sind aber gar nicht die Heizungen oder die Mobilität, sondern unsere energieintensiven Grossforschungsanlagen. Wir benötigen sehr leistungsintensive Verstärker zur Beschleunigung von Teilen, starke Elektromagnete zur Lenkung und Bündelung von Protonen und Elektronen oder tiefkalt verflüssigtes Helium zum Einstellen der Geschwindigkeit von Neutronen. Die Energie dafür beziehen wir heute zu 100 % aus Wasserkraft. Und die Abwärme, die wir aus unseren Anlagen gewinnen, deckt über die Hälfte unseres Wärmebedarfs. Wo wir noch am meisten Potential sehen, ist bei der Effizienzsteigerung. So arbeiten wir aktuell daran, die Elektronenstrahlbrillanz unserer Synchrotron Lichtquelle Schweiz (SLS) um den Faktor 40 zu erhöhen. Das bedeutet, dass wir dann Tomographien hundertmal schneller durchführen können – bei ca. 20 % tieferem Energieverbrauch. Mehr Wissen pro eingesetzter Energie also, das ist unser Ziel.»
Die Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL ist an mehreren Standorten präsent. «In Birmensdorf haben wir zuletzt zwei Gebäude aus den 1950er Jahren saniert», erzählt Andreas Zurlinden, Beauftragter für Umwelt und Sicherheit. «Nun erfüllen die Gebäude den Minergie-A und P Eco-Standard und die alte Ölheizung läuft nur noch ein paar Tage im Jahr, wenn der Kaminfeger die Holzschnitzelheizung wartet. Am Standort Davos wiederum haben wir eine Wärmepumpe installiert, die dem Grundwasser Wärme entnimmt. Damit sind wir alles in allem heizungstechnisch sozusagen CO2-neutral.»
In Davos wird aktuell ein Ersatz-Neubau errichtet – auf SNBS-Platin-Standard. Dieser geht weit über das bekanntere Minergie-Label hinaus. «Bei Minergie geht es um Dämmung und Energie, SNBS schliesst auch den Bauprozess mit ein, die verwendeten Materialien, die Qualität der Arbeitsplätze für die Mitarbeitenden, den Anschluss an den Öffentlichen Verkehr und vieles mehr.» Für einen Bericht zog Zurlinden kürzlich eine Autorin bei, die regelmässig Umweltberichte für Unternehmen verfasst. «Sie hatte eine Riesenfreude, weil sie endlich einmal für eine Institution schreiben konnte, die nicht nur einfach einen Bericht wollte, in dem sie gut dastand, sondern die Werte des Umweltberichts auch tatsächlich lebt.»