Geschätzt vier Milliarden Menschen haben keine sichere Trinkwasserversorgung
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser ist ein Menschenrecht und eines der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Doch für mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung fehlen Daten, wie viele Menschen eine sichere Trinkwasserversorgung nutzen können. «Mit unserer Arbeit wollen wir dazu beitragen, diese Informationslücke zu schliessen», sagt Esther Greenwood, Doktorandin an der Eawag und Erstautorin der Studie, die vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert und in der Zeitschrift «Science» veröffentlicht wurde. Die Forschenden der Eawag entwickelten Modelle, um die Nutzung von sicheren Trinkwasserversorgungen in 135 Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen abzuschätzen; dies in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF), der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dem Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut und der Universität Basel.
Die Modelle wurden mithilfe von maschinellem Lernen auf der Grundlage vorhandener Datensätze aus Haushaltsbefragungen und Daten aus Erdbeobachtungen entwickelt. Das Resultat der Studie: Nur jeder dritte Mensch in den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen hatte 2020 Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die Studie ergab auch, dass das Trinkwasser von fast der Hälfte der Bevölkerung in diesen Ländern durch Fäkalien verunreinigt ist und ein Drittel der Menschen Wasser von einer gemeinsamen Wasserstelle holen muss.
Die von den Forschenden erstellten globalen Karten zeigen, wo eine sichere Trinkwasserversorgung am häufigsten fehlt: In ländlichen Gebieten einkommensschwacher Länder mit hohen Temperaturen und starken saisonalen Niederschlagsschwankungen. Gemäss der Karten haben in mehreren afrikanischen Ländern südlich der Sahara weniger als zehn Prozent der Bevölkerung sauberes Trinkwasser. «Wir schätzen, dass weltweit über vier Milliarden Menschen keine angemessene Trinkwasserversorgung haben», fasst Greenwood zusammen. Das ist ein bemerkenswertes Ergebnis, weil diese Zahl mehr als doppelt so hoch ist, wie die bisherige Schätzung von WHO und UNICEF, die in einem gemeinsamen Programm für die Überwachung des Trinkwassers zuständig sind. «Die Zahl der Menschen, deren grundlegendes Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser nicht erfüllt ist, könnte daher erheblich unterschätzt werden», sagt die Wissenschaftlerin.
Kombination aus Haushaltsumfragen und Erdbeobachtungsdaten
Für ihre Studie verwendeten die Forschenden einerseits Daten, welche die UNICEF im Rahmen von Befragungen in über 60'000 Haushalten in 27 Ländern zwischen 2016 und 2020 erhob. Die Forschenden nutzen Informationen darüber, welche Art von Trinkwasserquelle die befragten Haushalte nutzten, wo sich diese befindet, ob die Befragten mit Wassermangel zu kämpfen hatten und ob das Wasser frei von fäkaler Verunreinigungen ist. Andererseits verwendeten die Forschenden Geodaten, die auf Satellitenbeobachtungen basieren, sowie luft- und landgestützte Erdbeobachtungsdaten, die weltweit verfügbar sind. «Dieser Ansatz ist auf unserem Gebiet neu», sagt Greenwood: «Wir haben dabei mit Forschenden des Crowther Lab der ETH Zürich zusammengearbeitet, die Erdbeobachtungen und andere Geodatensätze benutzen, um damit globale Modelle in der Ökologie zu erstellen.»
Denn die Verfügbarkeit, Zugänglichkeit und Qualität von Trinkwasser hängen von verschiedenen ökologischen und sozioökonomischen Faktoren ab. So spielen beispielsweise das Klima, die Geologie, die Vegetation, aber auch die Bevölkerungsdichte oder der Anteil von Landwirtschaftsland, städtischen Flächen und Wäldern eine wesentliche Rolle. «Zu Beginn waren wir sehr grosszügig und wählten über 100 Variablen aus, von denen wir glaubten, dass sie für sauberes Trinkwasser relevant sein könnten, weil sie mit dem Wasserkreislauf oder menschlichen Faktoren wie der Urbanisierung zusammenhängen», erklärt Greenwood. Damit erstellten die Forschenden mit Hilfe von maschinellem Lernen ein Modell, das sie mit den Daten zur Trinkwasserversorgung aus den Haushalterhebungen trainierten. In weiteren Schritten konnten sie die Anzahl der Variablen im Modell von 117 auf 39 reduzieren.
«Mit unserem Ansatz können wir zwar keine kausalen Zusammenhänge ableiten», sagt Greenwood: «Aber wir sehen beispielsweise, dass Klimafaktoren die wichtigste Rolle bei Vorhersage von der mikrobiologischen Qualität des Trinkwassers spielten.» Dies steht im Einklang mit Forschungsergebnissen, die zeigen, dass starke Regenfälle oder hohe Temperaturen zu einer Zunahme der mikrobiellen Verunreinigung des Trinkwassers führen können, insbesondere in einkommensschwachen Gegenden. Menschliche Faktoren wie die Bevölkerungsdichte oder der Anteil der bebauten Fläche waren hingegen am wichtigsten, um die Zugänglichkeit einer Trinkwasserquelle vorherzusagen. Und Variablen, welche die lokale Vegetation beschreiben waren für die Vorhersage von Wasserknappheit am wichtigsten, was darauf hindeutet, dass mangelnde Wasserverfügbarkeit für Pflanzen mit Wasserknappheit für Menschen im Zusammenhang stehen könnte.
Schätzungen für 135 Länder berechnet
Das so erarbeitete Hauptmodell schätzt ab, wie gross in einer bestimmten Region der Anteil der Menschen ist, die eine sichere Trinkwasserversorgung haben. Durch die Kombination weltweit verfügbarer Geodatensätze mit Haushaltserhebungen aus 27 Ländern wurden Schätzungen für 135 Länder berechnet, von denen etwa die Hälfte keine früheren nationalen Schätzungen hatte.
«Die Studie zeigt, wie weit bestimmte Regionen davon entfernt sind, einen Zugang zu sicherem Trinkwasser für alle zu erreichen», sagt Greenwood. Sie hofft denn auch, dass die neuen Erkenntnisse helfen, die aktuelle Lage weltweit besser zu erfassen und damit finanzielle Mittel besser planen und zuweisen zu können. «Ich denke, dass unsere Studie dazu beitragen kann, das Bewusstsein für den Zustand der Trinkwasserversorgung in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu schärfen, und aufzuzeigen, wo es Datenerhebungen und finanzielle Investitionen braucht, um die Situation zu verbessern.»
Eawag-Direktor Martin Ackermann zur Studie
«Dass derart viele Menschen weltweit keinen vernünftigen Zugang zu sicherem Trinkwasser haben, muss uns zu denken geben. Weite Wege bis zur nächsten Wasserquelle und verschmutztes Wasser sind Hauptgründe für viel Leid und Krankheit. Das liesse sich vermeiden. Wir an der Eawag verfolgen mit unserer Forschung zwei Ziele.
Vorsorge: Wasserressourcen müssen besser geschützt werden. Denn an vielen Orten wäre ausreichend Fluss oder Seewasser vorhanden, aber dieses ist derart massiv verschmutzt, dass es als Trinkwasser ausser Betracht fällt. Zur Vorsorge für das Trinkwasser gehört auch ein adäquater Umgang mit Abwasser, denn ungenügend behandeltes Abwasser oder undichte Kanalisationen sind eine der wichtigsten Quellen der Wasserverschmutzung.
Aufbereitung: Wir müssen Methoden entwickeln und verbreiten, die eine sichere Wasseraufbereitung und -verteilung ermöglichen. Sie müssen auch unter veränderten klimatischen Bedingungen und gesellschaftlich-politisch ständig ändernden Verhältnissen funktionieren. An Orten, an denen Wasser knapp ist, kann zudem die Aufbereitung von leicht verschmutztem Abwasser eine Lösung sein. So können auch regionale Stoffkreisläufe geschlossen werden.»
Eawag-Forschung für eine sichere Trinkwasserversorgung weltweit
Mit ihrer Forschung trägt die Eawag dazu bei, die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Developement Goals SDG) der Vereinten Nationen zu erreichen. In erster Linie unterstützt unsere Arbeit natürlich Ziel 6: sauberes Trinkwasser und sanitäre Einrichtungen für alle. Viele Forschungsprojekte tragen jedoch auch zu den anderen Zielen bei. Erfahren Sie mehr über unsere Forschung für die SDGs und konkrete Projekte, die Lösungen für den Zugang zu sicherem und erschwinglichem Trinkwasser für alle entwickeln. Weitere Infos finden Sie zudem in unserem Magazin zum Eawag-Infotag 2023 Wasserforschung für nachhaltige Entwicklung und auf unseren Websites Trinkwasser- Die Qualität des Trinkwassers aufrechterhalten und Wasser und Entwicklung – Sicheres Trinkwasser und umfassende Sanitärversorgung.