Kritik an europäischem Waldmonitoring-Vorschlag
Der Klimawandel wird den Wald massiv verändern. Das stellt wichtige Ökosystemleistungen in Frage, etwa jene der Wälder als Kohlenstoffsenke, die der Atmosphäre CO2 entzieht. Den Wald genau im Blick zu haben, ist deshalb wichtig. Aber ein neuer Vorschlag der Europäischen Kommission zum Waldmonitoring droht, eine verpasste Chance zu werden, schreiben 20 Waldforschende aus diversen europäischen Ländern in dem Meinungsartikel. Zwei WSL-Forscher erläutern Gründe und Gegenvorschläge.
Weil der Klimawandel die Wälder Europas belasten und verändern wird, lanciert die Europäische Kommission ein neues koordiniertes Waldmonitoring-Programm. Es soll am Boden erhobene Daten mit Satellitendaten kombinieren. Was ist daran schlecht?
Arthur Gessler: Es ist an sich super, dass sich die Kommission und das Europäische Parlament Gedanken darüber machen, welches die neuen Herausforderungen an das Waldmonitoring sind. Uns hat aber an dem Vorschlag gewundert, dass er ganz viele bestehende Waldmonitoring-Systeme ignoriert. Er lässt wichtige Ressourcen aus, die gerade in punkto Gesundheitszustands der Wälder bereits bestehen.
Was sieht der Vorschlag der Kommission vor?
Gessler: Er will die nationalen Landesforstinventare der EU-Mitgliedstaaten stärker koordinieren und aufeinander abstimmen. Deren Daten sollen dann mit jenen der Satelliten-Fernerkundung verknüpft werden. Die Europäische Union betreibt Copernicus, ein Erdbeobachtungssystem, das räumlich und zeitlich sehr detaillierte Waldbeobachtungsbilder für ganz Europa und darüber hinaus erfasst. Das ist an sich hervorragend.
Was kritisieren Sie dann?
Gessler: Dass die Initiative ausschliesslich auf die Nationalen Landesforstinventare fokussiert, wie jenes in der Schweiz (LFI). Diese haben zwar ein dichtes Flächennetz, aber jede Fläche wird nur alle paar Jahre vermessen. Waldgesundheits-Aspekte wie die Kronenverlichtung erheben die Inventare gar nicht. Und die will die Europäischen Kommission explizit berücksichtigt haben. Dabei haben wir ja schon diverse bestehende Monitoringansätze, die mit einheitlichen Methoden arbeiten und den Gesundheitszustand der Wälder sowie viele Prozesse überwachen, die mit Ökosystemleistungen verknüpft sind.
Welche zum Beispiel?
Gessler: In der Schweiz etwa auf die Langfristige Waldökosystemforschung (LWF). Das ist unser Gesundheits-Check für den Wald. Die LWF wiederum ist Teil des europaweiten Monitoringprogramms ICP Forests, das überall mit den gleichen Methoden und in den gleichen Zeitintervallen Daten zum Zustand der Wälder erhebt. Ein weiteres Programm ist das Kohlenstoff-Observatorium ICOS, das die Flüsse von Kohlenstoff zwischen Ökosystemen und Atmosphäre misst.
Und diese Initiativen hat die Kommission vergessen?
Gessler: Das scheint so zu sein. Interessant ist, dass ICP Forests und andere Institutionen sehr lange Anschubfinanzierung von der Europäischen Union bekommen haben. Mit Unterstützung der Vereinten Nationen wurden sie in den 1980er Jahren im Rahmen der Waldsterbensdiskussion etabliert.
Wer hat sich den nun vorliegenden, neuen Vorschlag ausgedacht?
Marco Ferretti: Er kommt von der Generaldirektion für Umwelt der Europäischen Kommission und basiert auf der EU-Waldstrategie 2030. Entwickelt wurde er durch einen öffentlichen Konsultationsprozess, Experten und wissenschaftliche Workshops. Warum er die anderen Monitoringsysteme ignoriert, wird nicht erklärt – und es gibt auch keinen klaren Grund dafür.
Was schlagen Sie vor, wie ein solches EU-weites Monitoring aussehen sollte?
Gessler: Es ist sinnvoll und wichtig, Fernerkundungsdaten des Waldes mit bodenbasierten Ansätzen zu vergleichen, wie jetzt vorgeschlagen. Forschungsaktivitäten dazu gibt es auch bereits. Wenn wir die unterschiedlichen, bestehenden Netzwerke zusammenbringen, einschliesslich der nationalen Inventare, werden die sich perfekt ergänzen. Das wird nicht mal teurer, weil wir auf vorhandene Erfahrungen und Daten zurückgreifen können.
Sind Sie allein mit Ihrer Kritik?
Ferretti: Offensichtlich nicht, wie die grosse und internationale Autorenschaft des Meinungsartikels belegt. Auch der Europäische Staatsforstverband (EUSTAFOR), der sich für nachhaltige Waldbewirtschaftung und Holzproduktion einsetzt, hat Kritik am Vorschlag geäussert.