Corona hilft dem Klima nicht
Das Global Carbon Project ist ein weltweites Team von Forschenden, die jedes Jahr die Menge an CO2 dokumentieren, die in die Atmosphäre gelangen, und wie viel davon natürliche Senken wie Landvegetation und Ozeane wieder binden. Für 2020 registrierte das Konsortium die grösste je beobachtete Reduktion der fossilen CO2-Emissionen. Im Zuge der Massnahmen gegen das Coronavirus sank der weltweite CO2-Ausstoss gegenüber dem Vorjahr um 5.4 Prozent – das ist rund viermal mehr als der Einbruch durch die globale Finanzkrise im Jahr 2009. 1
Meine Forschungsgruppe arbeitet seit mehreren Jahren am Global Carbon Project mit. Dieses Jahr war ich besonders gespannt, wie sich das Emissionsgeschehen der Welt entwickeln wird.Nutzten die Länder die milliardenschweren Finanzspritzen, um die Wirtschaft nicht nur aus der Corona Krise zu heben, sondern auch für eine klimaneutrale Zukunft zu rüsten?
In einem soeben veröffentlichten Bericht präsentiert das Global Carbon Project die ersten Hochrechnungen fürs Jahr 2021. Leider fallen sie ernüchternd aus: Nach dem Corona-bedingten Rückgang 2020 werden die weltweiten Emissionen dieses Jahr wohl fast wieder auf das Rekordniveau von 2019 hochschnellen.2, 3 Allerdings lohnt sich ein detaillierter Blick auf die Triebkräfte und Trends bei den grossen Emittenten: Hinter dem globalen Rückgang und Rebound der CO2-Emissionen verstecken sich relevante regionale und sektorale Unterschiede.
Vor-Corona-Trends setzen sich fort
Die vorläufigen Resultate zeigen, dass die grossen Emittenten 2021 an ihre jeweiligen Trends von vor Corona anknüpfen: In den USA und der EU sinken die CO2-Emissionen tendenziell; bei ihnen fällt der Anstieg 2021 geringer aus als der Rückgang 2020. Vor allem in China und Indien nehmen die Emissionen hingegen zu und liegen 2021 über dem vorpandemischen Niveau von 2019.
Analysen von Carbon Monitor, einer Plattform, die Emissionen praktisch in Echtzeit abschätzt, zeigen weiter, dass der Anstieg der globalen Emissionen 2021 vor allem durch die Energieproduktion und die Industrie angefeuert wird – dies bei erhöhtem Einsatz von Kohle, deren Gebrauch um fast sechs Prozent anstieg.4 Lieferengpässe beim Erdgas haben sicherlich einen Teil zur erneuten Renaissance dieses besonders klimaschädlichen Energieträgers beigetragen.
Treiber des Rückgangs analysiert
Während es noch zu früh ist für eine differenzierte Betrachtung der Emissionstreiber fürs laufende Jahr, hat das Global Carbon Project dies für 2020 nun gemacht. Im Pandemiejahr sackten die fossilen Emissionen in den USA und der EU um mehr als zehn Prozent und in Indien um mehr als 7 Prozent ab. In China reduzierte sich das Wachstum, aber die Emission wuchsen immer noch um 1.4 Prozent.
Die Hauptursache für den einbrechenden CO2-Ausstoss war die rückläufige Wirtschaftsleistung aufgrund der weltweit verordneten Massnahmen wie Lockdowns zur Eindämmung des Virus. Das ist wenig überraschend, denn das Wachstum der Wirtschaftsleistung ist global schon seit mehr als 30 Jahren der stärkste Treiber für Veränderungen der fossilen CO2-Emissionen. Ein Lichtblick ist hingegen, dass auch im Pandemiejahr 2020 der Trend zu verbesserter Energieeffizienz und verminderter CO2-Intensität der Energieproduktion angehalten hat. Das heisst, dass weniger CO2 ausgestossen wird, um die gleiche Wirtschaftsleistung zu erreichen.
Damit bestätigt sich eine Entwicklung, die seit mehr als zehn Jahren anhält. Dank höherer Energieeffizienz und verminderter CO2-Intensität entkoppeln sich Wirtschaftsleistung und Emissionen zusehends. Das ist sehr ermutigend, denn diese Entkopplung bildet das Rückgrat für die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft. Besonders hervorzuheben ist, dass es bereits 27 Länder gibt, in denen die fossilen CO2-Emissionen über die letzte Dekade bei wachsender Wirtschaft sogar gesunken sind. Darunter ist auch die Schweiz, wobei man hier bemerken muss, dass das nur für die sogenannten territorialen Emissionen gilt. Wenn man den Import von «grauem» CO2 berücksichtigt, verliert die Schweiz ihre Vorreiterrolle.
Keine Hilfe fürs Klima
Wie beeinflusst die vorübergehende Delle in den Emissionen das globale Kohlenstoffbudget und das Klima? Die kurze Antwort lautet: praktisch gar nicht.
Das hat vor allem damit zu tun, dass für den Klimawandel die gesamte Menge an CO2 in der Atmosphäre relevant ist. Die kumulativen Emissionen sind viel wichtiger als die veränderten Emissionen eines einzelnen Jahres. Und bei der Anreicherung von CO2 in der Atmosphäre legten wir auch im Jahre 2020 ein schönes Scheibchen drauf – trotz Corona-bedingtem Rückgang. Die CO2-Konzentration stieg um saftige 2.4 ppm (parts per million; Teile pro Million) auf das neue Rekordhoch von 412 ppm, was einem Anstieg von mehr als 18 Milliarden Tonnen CO2 entspricht. Das ist viel, aber nur rund die Hälfte der gesamten menschgemachten Emissionen von rund 37 Milliarden Tonnen CO2 im Jahr 2020. Die andere Hälfte wurde durch Senken auf dem Land und im Ozean wieder aus der Atmosphäre entfernt.
Noch funktionieren die Senken erstaunlich gut
Diese starke Senkenleistung ist ein weiterer Lichtblick für mich. Seit mehr als 60 Jahren nehmen das Land und die Ozeane fast konstant etwa die Hälfte der gesamten menschgemachten Emissionen auf, obwohl sich diese mehr als verdreifacht haben. Das bedeutet, dass auch die Senken mittlerweile mehr als dreimal so viel CO2 absorbieren. Das ist mehr als erstaunlich, wenn man bedenkt, wie komplex und potenziell störanfällig die unterliegenden Prozesse gerade gegenüber dem Klimawandel sind. Diese Gefahr wird vom jüngsten Weltklimabericht bestätigt. Wir müssen davon ausgehen, dass die Senkenleistung in Zukunft mit dem Klimawandel generell abnehmen wird.5 Glücklicherweise sehen wir das noch nicht in den Abschätzungen der Senken, zu denen meine Gruppe mit Modellrechnungen und Datenanalysen beigetragen hat.
Das Restbudget schrumpft schnell
Auch wenn das Pandemiejahr 2020 mit mehr als fünf Prozent den bisher grössten Einbruch der Emissionen in den letzten 60 Jahren brachte – in Relation zur Reduktion, welche die Pariser Klimaziele erfordern, ist der Rückgang nicht besonders eindrücklich. Um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, müssten wir die Emissionen fortan jedes Jahr um mindestens fünf Prozent reduzieren.
Derweil schrumpfen die Kohlenstoffbudgets für die Pariser Klimaziele rapide. Ab 2022 beträgt die Restmenge an erlaubten Emissionen, um das 1.5-Grad-Ziel mit 67 Prozent Wahrscheinlichkeit zu erreichen, noch rund 325 Milliarden Tonnen CO2. Für das Zwei-Grad-Ziel beläuft sich das Budget auf rund 1075 Milliarden Tonnen. Bei gleichbleibenden Emissionen verblieben somit noch weniger als 10 Jahre für ein 1.5 Grad wärmere, und weniger als 30 Jahre für eine maximal zwei Grad wärmere Welt.6
In Anbetracht der langen Erneuerungszyklen von Energiesystemen gehe ich mittlerweile davon aus, dass das Fenster für das 1.5-Grad-Ziel nun geschlossen ist. Nichtsdestotrotz sollten wir alle Anstrengungen unternehmen, die Erwärmung so klein wie möglich zu halten, denn jedes zusätzliche Zehntelgrad schädigt uns und unsere Umwelt mehr.
Die Richtung stimmt
Gewiss, die wieder ansteigenden Emissionen im Jahr 2021 bereiten Sorgen, denn wir haben eine echte Chance verpasst, durch die Corona-Hilfsgelder den nachhaltigen Umbau der Wirtschaft zu beschleunigen. Dennoch bin ich optimistisch. Die Dekarbonisierung der Wirtschaft ist im Gange. Die erneuerbaren Energien haben eine steile Wachstumskurve. Ihre Kosten sind stark gesunken und sind in vielen Bereichen kompetitiv gegenüber fossilen Energieträgern. Sehr viele Länder haben sich seit Paris längerfristige Klimaziele gesetzt.
Das sind grosse Schritte, deren Tragweite man nicht unterschätzen sollte. Klar, wir sind viel zu langsam unterwegs; klar, wir müssen die Dekarbonisierung über alle Länder und Sektoren hinweg massiv beschleunigen. Aber die Richtung stimmt. Das macht mich zuversichtlich, dass wir die Pariser Klimaziele doch noch erreichen können.